Winter im Reich

geschrieben von Kristin Caspary

11. Januar 2024

Bundesanwaltschaft erhebt Klage gegen ein Netzwerk sogenannter Reichsbürger

Ein gutes Jahr dauerte es von der großangelegten Razzia mit insgesamt 25 Festnahmen in Deutschland, Österreich und Italien, bis am 12. Dezember die Bundesanwaltschaft Klage gegen ein Netzwerk sogenannter Reichsbürger um den Frankfurter Geschäftsmann Heinrich XIII. Prinz Reuß erhob.

Vorbild Deutsches Reiches von 1871

Vorgeworfen wird der Gruppe, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik beseitigen und einen neuen Staat nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 errichten zu wollen, mit dem Prinzen Reuß an der Spitze. Kurz nach den Weihnachtsfeiertagen vermeldete das Oberlandesgericht Frankfurt, im ersten Halbjahr 2024 über die Anklagezulassung entscheiden zu wollen. Damit ist der Startschuss zum womöglich größten Staatsschutzverfahren der BRD-Geschichte gefallen. Insgesamt 27 Verdächtige werden dabei vor drei Oberlandesgerichten angeklagt und zwar denen in Frankfurt am Main, München sowie Stuttgart. In Frankfurt sollen vor allem die vermutlichen Rädelsführer, der »Rat«, angeklagt werden, in Stuttgart der militärische Arm und in München die übrigen mutmaßlichen Mitglieder.

Während der militärische Arm den Umsturz organisieren sollte und dabei, laut Generalbundesanwalt (GBA), ein »massives Waffenarsenal« von über 1.000 Waffen und mindestens 148.000 »Munitionsteilen« zur Disposition gehabt hatte, wäre dem Rat nach erfolgreichem Umsturz die Aufgabe zugekommen, als Übergangsregierung zu fungieren. Die Mitglieder des Rates, unter anderem die Berliner Richterin und AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann, schmiedeten für die Zeit nach dem Umsturz Pläne für die Verhandlung mit »den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs«, sahen wohl aber nur in Russland einen potentiellen Verhandlungspartner. Laut GBA kam es im November und Dezember 2022 tatsächlich zu Treffen mit Vertretern des russischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main und Baden-Baden. Mögliche Ergebnisse des Treffens liegen jedoch im Dunkeln.

Wer sich weiter mit der extremen Rechten, Reichsbürgern und ihrem verschwörungsideologischen »Souveränismus« auseinandersetzen möchte, dem sei die jüngst von CeMas veröffentlichte Broschüre »Durch die Krise ins Reich« ans Herz gelegt. Zu finden unter cemas.io/
publikationen/durch-die-krise-ins-reich.

Wer sich weiter mit der extremen Rechten, Reichsbürgern und ihrem verschwörungsideologischen »Souveränismus« auseinandersetzen möchte, dem sei die jüngst von CeMas veröffentlichte Broschüre »Durch die Krise ins Reich« ans Herz gelegt. Zu finden unter cemas.io/
publikationen/durch-die-krise-ins-reich.

Der militärische Arm versuchte indes, Soldat_innen und Polizist_innen zu rekrutieren, Ausrüstung und Waffen zu beschaffen sowie Mitglieder im Umgang damit zu schulen, und forcierte weiterhin den Aufbau von sogenannten Heimatschutzkompanien, die gewaltsame Säuberungen auf kommunaler Ebene durchführen sollten. Rekrutierte erklärten sich wohl durch Unterschrift unter einer Verschwiegenheitserklärung einverstanden, für den Verrat von Gruppengeheimnissen mit dem Tod bestraft zu werden.

Prinz Reuß führte den Rat an, er gilt als zentrale Figur der Vereinigung. Sämtliche sechs Treffen des Rats fanden auf seinem Thüringer Schloss statt. Beim Versuch der Waffenbeschaffung fiel er auf ein betrügerisches Schweizer Brüderpaar rein. Beim Deal flossen Ermittlern zufolge fast 140.000 Euro, aber schlussendlich gab es weder versprochene Beweise für die Existenz unterirdischer Militärkomplexe, die angeblich von einer obskuren Geheimorganisation betrieben würden, noch Waffen.

Rüdiger von Pescatore, ehemaliger Oberstleutnant und Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Bundeswehr, gilt als die Figur neben dem Prinzen, führte den militärischen Arm der Vereinigung an und leitete im Rat das Ressort »Inneres«. Birgit Malsack-Winkemann leitete das Ressort Justiz und nutzte ihre Zugangsrechte zu den Liegenschaften des Parlaments in Berlin, um weitere Mitglieder einzuschleusen und die Liegenschaften im Hinblick auf eine Erstürmung auszukundschaften. Michael Fritsch kam innerhalb des militärischen Arms die Leitung eines Bereichs für »Sicherheit und Polizei« zu, im Rat war er für das Ressort »Militär« zuständig. Mit ihnen angeklagt sind unter anderem weitere Angehörige der Bundeswehr, darunter das zu dem Zeitpunkt aktive Mitglied des Kommandos der Spezialkräfte (KSK) Andreas M.

Geschichtsrevisionismus und Spiritualität

Augenfällig ist die im Milieu übliche Verquickung von revisionistischer Geschichtsschreibung mit spirituellen Elementen. Die Vereinigung wollte nicht nur schnellstmöglich zurück ins Reich, sondern die Reise spirituell abgesichert antreten. Verantwortlich dafür: das sogenannte Ressort »Transkommunikation«. Unter Leitung von Ruth Leiding, die wohl auch als »Seherin« der Gruppe fungierte, war es insbesondere für die spirituelle Überprüfung neuer Ratsmitglieder und die persönliche Beratung des Prinzen zuständig.

Den Umsturzplänen scheint durch ihre ungeheuerlichen Ausmaße in Verbindung mit ihren spirituellen Elementen eine gewisse Absurdität anzuhaften. Es gilt, Vorsicht walten zu lassen, die Gefahr zu erkennen und nicht lächerlich zu machen. Sensibilität ist auch dabei geboten, sich von den aktuellen Entwicklungen auf Ebene der Justiz nicht täuschen zu lassen, stehen den 27 nun Angeklagten doch aktuell bundesweit über 800 offene Haftbefehle gegen extreme Rechte gegenüber. Dass Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sich zufrieden zeigt, ist nur ein weiteres Indiz der Bedrohlichkeit der Lage, wissen wir als VVN-BdA aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie weit ihr Anspruch und die Realität auseinander liegen können.