Agitation und Witz
2. März 2024
Erzählungen aus den Jugendjahren von Olga Benario in einem kleinen Buch
Was für ein unterhaltsames kleines Buch der Verbrecher-Verlag da veröffentlicht hat! Olga Benario, die sich mit 15 Jahren der Kommunistischen Jugend anschloss, arbeitete in Berlin-Neukölln für den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands und die KPD, bevor sie ihren Partner Otto Braun aus dem Gefängnis befreite und mit ihm nach Moskau flüchtete. Dort schrieb sie 1929 für die sowjetischen Genoss_innen über die Arbeit der Kommunistischen Jugend in Berlin. Da das Originalmanuskript als verschollen gilt, übersetzte Kristine Listau aus dem Russischen zurück in die Originalsprache und ermöglicht so einen seltenen Einblick in den Alltag junger Kommunist_innen in den 1920er-Jahren. Begleitet ist das Buch von einem Vorwort von Anita Leocádia Prestes, der Tochter Olga Benarios.
Abwechslungsreich und interessant
Dabei ist das Werk sowohl Agitation als auch Dokumentation des vielseitigen kommunistischen Lebens im damaligen Berlin. Und das hält eine_n auf Trab! Ob im Bezirksausschuss, der Orts- und Betriebsgruppe, in der Berufsschule oder beim Landausflug – das Leben der jungen Kommunist_innen ist angefüllt mit Aktivitäten, und Olga Benario beschreibt sowohl die Strukturen als auch die Lebenswelt der jungen Kommunist_innen abwechslungsreich und interessant.
In den bewusst erzählerischen Passagen stellt sie immer wieder ihre eigene Haltung heraus. Die Schule als »Instrument der politischen Verblödung« wird ebenso kritisiert wie der konkurrierende Jugendverband der Sozialistischen Arbeiterjugend, der mit seinen Tanzabenden die jungen Menschen nur verblöden will und keine politische Kritik an den herrschenden Verhältnissen übt.
Feinsinnig wie mit leisem Witz
Olga Benario schreibt ebenso feinsinnig wie mit leisem Witz, wie ein gut dekorierter Raum dazu beitragen kann, damit sich junge Arbeiter*innen an einem Ort wohlfühlen, als auch kämpferisch über den erfolgreichen Boykott einer liebgewonnenen Eisdiele, die ihre Angestellten nicht gut bezahlte. Sie nimmt die Leser_innen mit auf eine Reise zu den Abendveranstaltungen der Jungkommunist_innen, zum nächtlichen Plakatieren und zur Haus- und Hofagitation. Sie beschreibt das Gemeinschaftsgefühl zwischen den Genoss_innen, welches bei Landausflügen (natürlich zu Agitationszwecken) sowie gemeinsamen Funktionärs- und Verbandsschulungen entsteht.
Dieser kurzweilige Einblick in das Leben junger politisch aktiver Menschen vor 100 Jahren hat nicht an Aktualität verloren und wirkt trotz oder aufgrund des agitatorischen Charakters des Buches unterhaltsam. Volle Leseempfehlung!