Den letzten Weg gegangen
2. März 2024
Die Feministin und Antifaschistin Ingrid Strobl ist tot
Die am 25. Januar verstorbene Ingrid Strobl war in vielfacher Hinsicht eine besondere Frau. Sie wurde am 6. April 1952 in bescheidenen Verhältnissen in Innsbruck geboren und studierte nach dem Abitur Germanistik und Kunstgeschichte. Im Rückblick erscheint es so, als ob die beiden Themen, die sie ihr Leben lang beschäftigen werden, damals schon angelegt waren. Da ist zum einen die Feministin und damit das Interesse am Leben und der Geschichte von Frauen und zum anderen die überzeugte Antifaschistin, die sich mit der Rolle von Frauen im Widerstand beschäftigte.
Ihre Doktorarbeit schrieb Ingrid Strobl über die »Rhetorik im Dritten Reich«. Bereits damals fing sie an, als freie Journalistin für den Österreichischen Rundfunk (ORF) zu arbeiten. 1979 zog sie nach Köln und begann bei der einst noch feministischen Zeitschrift Emma von Alice Schwarzer als Redakteurin. 1986 verließ sie die Redaktion und arbeitete freiberuflich für den WDR.
Als sie 1987 in einem Fernsehbericht über die Emma zu sehen war, erkannte sie ein Beamter des Bundeskriminalamts als jene Person wieder, die auf einer Überwachungskamera beim Kauf eines Weckers gefilmt worden war. Der Wecker war 1985 als Zeitzünder bei einem Bombenanschlag der Revolutionären Zellen (RZ) auf das Verwaltungsgebäude der Lufthansa benutzt worden. Die RZ benutzten für ihre Anschläge immer wieder Wecker der Firma Emes. In Absprache mit der Firma markierte das BKA die letzte Baureihe des Weckers, die dann nur in wenige ausgewählte video-überwachte Geschäfte ausgeliefert wurde. Ingrid Strobl wurde über Monate überwacht, am 18. Dezember 1987 verhaftet und schließlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Weil sie sich weigerte auszusagen, an wen sie den Wecker weitergegeben hatte, musste sie die gesamte Dauer in Isolationshaft verbringen. Alice Schwarzer, die Herausgeberin der Emma, organisierte eine Solidaritätskampagne zur Freilassung von Ingrid Strobl. Diese bestritt nie, den Wecker gekauft zu haben, ließ sich jedoch nur darüber aus, einem Bekannten einen Gefallen getan zu haben. Erst in ihrer 2020 erschienenen Biografie »Die vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich« gab sie schließlich zu, gewusst zu haben, wofür der Wecker benutzt werden sollte.
In einem Interview mit der taz im Jahr 2020 sagte sie: »Ich frage mich nie, warum ich in der Frauenbewegung war und dort mich so engagiert habe. Aber woher diese furchtbare Radikalität kam, schon. Da war richtig Hass in mir. Es mag sein, dass es bei mir ein verschobener Klassenhass war, aber das ändert ja nichts daran, dass das nichts mit meinem Wesen zu tun hatte.«
In dem Buch schildert sie auch, wie sie im Gefängnis das Buch »Sag nie, du gehst den letzten Weg« fertiggestellt und das Buch »Die Angst kam erst danach« konzipiert und geschrieben hat. Beide Bücher handeln von Frauen, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet haben. In »Die Angst kam erst danach« berichtet Ingrid Strobl über jüdische Frauen im Widerstand gegen die Nazis. Das Buch »Sag nie, du gehst den letzten Weg« beschäftigt sich mit der Rolle von Frauen im bewaffneten Widerstand in den von den Faschisten besetzten Ländern. Beschrieben werden darin sowohl Frauen aus West- als auch Osteuropa. Für die Recherche hat sie Frauen aus den Ländern ausfindig gemacht und interviewt, die bei den Partisanen oder der Résistance aktiv waren. In den Interviews haben die Frauen teilweise zum ersten Mal darüber gesprochen. Das Buch gilt bis heute als Standardwerk über Frauen im Widerstand und macht deutlich, wie breit der bewaffnete Widerstand aufgestellt und wie wichtig die Rolle der Frauen dabei war.
Auch mit ihrem nächsten großen Projekt blieb Ingrid Strobl dem Thema verbunden. Sie übersetzte den biografischen Bericht von Chaika Grossman über die »Untergrundarmee« des Ghettos Białystok. »Untergrundarmee« ist auch der Titel des beeindruckenden Buches, das erstmals 1949 auf Hebräisch erschien und in Israel ein Bestseller war. Ingrid Strobl schreibt im Vorwort: »Die Situa-tion, in der sich diese jungen Frauen befanden, ist für heutige Leserinnen und Leser nicht nachvollziehbar. Die deutsche Wehrmacht marschiert in Polen ein, die Besatzungsmacht zwängt alle jüdischen Bewohner der einzelnen Städte in Ghettos und beginnt nach einiger Zeit, sie aus diesen Ghettos abzutransportieren – angeblich in Arbeitslager, aber nach einer Weile steht fest: Die Reise endet in den Gaskammern von Treblinka, Chełmno, Majdanek und Auschwitz.«
Der Bericht von Chaika Grossman schließt mit dem Einzug der jüdischen Untergrundarmee in die befreite Stadt Białystok. Sie schreibt darin, wie sie auf einmal ein Transparent mit der Aufschrift »Ewiger Ruhm den Kämpfern« gesehen haben. Einige wenige der jüdischen Frauen hatten sich retten können. »Sie haben uns mit ›Ewigen Ruhm den Kämpfern‹ empfangen, aber die Toten werden sich nicht aus ihren Gräbern erheben. Wir sind zu wenige, um das Gedächtnis so vieler zu bewahren.«
Ingrid Strobls großes Verdienst war es, dass das Wissen um die mutigen Frauen nicht verloren gehen wird.
Bücher von Ingrid Strobl:
- Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich. Edition Nautilus, Hamburg 2020, 192 Seiten, 18 Euro
- Sag nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2016, 352 Seiten, 14,99 Euro
- Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1998, 480 Seiten, 14,95 Euro
- Chaika Grossman: Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Bialystok. Ein autobiographischer Bericht. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1993, 560 Seiten, aktuell nur noch antiquarisch erhältlich