Reaktionäre Vereinnahmungsversuche
2. März 2024
Neue Testcard mit Heftschwerpunkt zu Rechtspop
Als vor Gründung und Aufstieg der AfD Parteien wie »Pro Deutschland« oder »Die Freiheit« nervten, bedachte man sie mit dem Label des Rechtspopulismus. Aber Rechtspop, was ist darunter zu verstehen? Die neue, 27. Ausgabe der Testcard behandelt unter dem Titel »Rechtspop« eine Reihe zeitgenössischer und (pop-)kulturgeschichtlicher Phänomene.
Einer der Autoren und Herausgeber ist Frank Apunkt Schneider. Sein Essay über die Poplinke, der in Testcard 25 begann, wird hier fortgesetzt. »Selbst- und Fremdbild der Poplinken sind gleichermaßen unscharf. Möglicherweise kann ihr Gegenteil zur Klärung beitragen: die Vereinnahmung von Pop von rechts.« Die Poprechte »besitzt noch kein bündiges Verständnis ihrer selbst und hat vielleicht noch gar nicht mitbekommen, dass es sie (bereits) gibt. Sie zeichnet sich nur eben immer deutlicher ab« (alle hier: Schneider, S. 7). Schneider geht in kurzen Absätzen auf unzählige bekanntere und völlig obskure Künstler_innen und Kulturphänomene seit den 1930er-Jahren ein, die sich dem Rechtspop zuordnen lassen: Annett, Absurd, Charly & His Orchestra, Chris Ares, Frei.Wild, Gerd Knesel, Goebbels’ Zeichentrickfilm, Johnny Rebel, Ragnarök …
Die kommerzielle und kulturelle Erfolglosigkeit der allermeisten Beispiele in Schneiders Aufsatz zeigen, dass es die Rechte mit Pop nicht leicht hatte. Nach 1945 hatte »die Rechte den Anschluss verloren« (S. 14), und ihr Buhlen um die Jugend erinnert den Autor an kirchliche Versuche, mit Pop den Nachwuchs zu erreichen. Das erste »›authentische‹ Pop-Phänomen, dass die Rechte hervorgebracht hat« (S. 17) sei der Naziskinhead.
Die Ausgabe versammelt 24 Beiträge, die sich auch Phänomenen und Aspekten zuwenden, die man zunächst nicht erwarten würde. Ein ganzer Beitrag befasst sich mit Heinz Rudolf Kunze (Anna Seidel), Franziska Meifert schreibt 25 Seiten über »Krieg und Schrecken in Comics und Graphic Novels«. Naheliegenderem wie »Rechtsextremismus und Memekultur« (Veronika Kracher), dem »Volks-Rock-’n’-Roller« Andreas Gabalier oder rechtem Rap sind eigene Beiträge gewidmet, oder sie tauchen in mehreren Texten auf. Babsi Clute-Simon und Bianca Kämpf zeigen, was die Independent-Künstler Ariel Pink und John Maus zum Sturm aufs Kapitol motiviert hat: eine »ambivalente Radikalität« und der Versuch, die Vergangenheit in der Gegenwart aufzulösen (S. 55).
Der Text von Roger Behrens skizziert ein Fundament, auf das man sich stellen kann, um dem Rechtspop theoretisch gegenüberzutreten. Es ist ein sehr dichter Text, gespickt mit knappen Verweisen für Eingeweihte, die zeigen, dass er das Heft auch alleine hätte vollschreiben können. Behrens springt durch Epochen und Szenen, die Entwicklung der antifaschistischen Bewegung wird eingeflochten. Als in den 1980ern rechte Subkulturen entstanden, wurden damit explizit linke Subkulturen notwendig. Auf der Suche nach »symbolische(r) Eindeutigkeit« (Behrens, S. 32) übernahm und aktualisierte man beispielsweise das Logo der Antifaschistischen Aktion. Nicht weniger unterhaltsam als wahr sind seine lakonischen Bemerkungen zum politischen Gegner: »FDP = totaler Utopieverlust im Pop« (S. 40) oder Pauschalurlaub in den 1970ern in Spanien – »Faschismus mit Halbpension« (S. 35).
Das Magazin liefert sehr spezielles Wissen. Wer pophistorisch interessiert ist, wird (wie immer bei Testcard) seine Freude haben. Interessanter sind aber die Fragen, die aufgeworfen, aber nur unzureichend beantwortet werden. Ihnen sollte sich eine sub- und popkulturell geprägte Linke (und auf die radikale Linke hierzulande trifft das besonders zu) stellen. Warum lässt sich »das Irre und Durchgeknallte« (Schneider, S. 22) nicht länger in einen emanzipatorischen Kontext packen und der (Pop)Linken zuschlagen, sondern geht eine völkische »Zweckehe mit der Rechten« (ebd.) ein? Was genau sind die »veränderten diskursiven Bedingungen« (Rauscher, S. 184) und »historischen Umstände« (S. 187), unter denen sich eine affirmative Lesart von Antihelden, wie Taxi-Driver oder Punisher durchgesetzt hat? Wie können »Memes aus einem rechten Spektrum subversiv unterwandert und emanzipatorisch aufgeladen werden« (Kracher, S. 90)?
Die Zeitschrift Testcard liefert seit 1995 »Beiträge zur Popgeschichte«. Die aktuelle Nummer ist die erste Ausgabe seit 2019. Obwohl der Publikationsrhythmus gemächlich daherkommt, gönnt sich Testcard weiterhin einen umfassenden Rezensionsteil zu Büchern, Tonträgern und Filmen. Einiges davon fügt sich hervorragend in den Heftschwerpunkt ein. Nick Lands reaktionäres »Okkultes Denken« hat man ebenso auf dem Schirm wie Björn Fischers Buch zum Rechtsrock-Label Rock-O-Rama.
Im Innern der Testcard arbeitet ein Widerspruch. Vorherrschend ist eine Grundhaltung in antideutscher Tradition, die in Gegenkulturen oft den Keim der Reaktion vermutet – und dennoch wird Gegenkultur hier als Emanzipationsversprechen ernst genommen (viele sind durch Punk oder irgendwelche Undergroundszenen gegangen oder gar politisiert worden). Denn wer in Popkultur heute noch mehr als Profit, Klicks oder Hintergrundrauschen ausmacht, nimmt strukturell schon fast eine gegenhegemoniale Position ein. Dass diese auch reaktionär sein kann und den Status quo von rechts herausfordert, zeigt dieses Heft.