Verschwiegene Gegenwehr

geschrieben von Ulrich Stuwe

27. April 2024

Ulrich Schneiders neues Buch über »Arbeiterwiderstand im Dritten Reich«

Der Widerstand gegen das NS-Regime ist einer von nur wenigen Komplexen in der Geschichtswissenschaft, in dem so augenfällig ist, dass die dominierende historische Betrachtung eine Folge der jeweils aktuellen Haltung der Herrschenden ist. Während jahrzehntelang in der Bundesrepublik lediglich die Putschisten des 20. Juli 1944, der Kreisauer Kreis und die Aktivisten der »Weißen Rose« als Widerstand angesehen wurden, fokussierte sich die offizielle DDR-Historie auf den kommunistischen Widerstand.

Erst in den 1970er und 1980er Jahren gelang es, diesen Delegitimierungen von Widerstand durch Erweiterung der betrachteten Widerstandsgruppen und Anerkennung ihrer unterschiedlichen Gesinnungen entgegenzutreten. Auch diese Erkenntnisse müssen immer wieder in neue Generationen hineingetragen werden. Das Wissen um den Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung erreicht neuere Generationen von historischen Fachleuten und Laien kaum noch, da es an neueren Publikationen mangelt. So kommen die Literaturhinweise in Ulrich Schneiders neuem Buch häufig aus dem 20. Jahrhundert.

Der Autor füllt mit seinem Buch »Arbeiterwiderstand im Dritten Reich« hier eine Lücke. Er verweist darauf, dass Antifaschismus auch in Deutschland nicht erst am 30. Januar 1933 beginnt und sich auch nicht nur gegen die NSDAP richtete. Bereits der Widerstand gegen den reaktionären Terror der Freikorps und gegen den Kapp-Putsch etc. hatte antifaschistische Züge. Die zunehmende Stärke reaktionärer Kräfte, unter denen die faschistische Bewegung sich am rasantesten und massivsten entwickelte, löste in der Arbeiterbewegung Gegenkräfte aus, die sich in der Gründung und Aktivität einer ganzen Reihe von antifaschistischen Organisationen manifestierten. Genannt werden der »Rotfrontkämpferbund«, das »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«, die »Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus«, die »Antifaschistische Aktion«, die zwischen KPD und SPD stehenden Parteien KPO und SAP sowie viele andere mehr.

Hauptfeind Arbeiterbewegung

Die Spaltung der Arbeiterbewegung in einen reformistischen (die Weimarer Republik primär verteidigend) und einen revolutionären (den Sozialismus durch Überwindung der parlamentarischen Demokratie erkämpfend) Flügel konnte selbst die Bedrohung durch den Faschismus nicht überwinden. Hier sieht der Autor das Hauptversagen von Gewerkschaften, SPD und KPD und ihren angeschlossenen Organisationen. Dass die Arbeiterbewegung mit ihren verschiedenen Organisationen immer der primäre reale Hauptfeind der Nazis war, zeigte sich dann schnell in den Maßnahmen von Staats- und Parteiorganen nach der Machtübertragung. Kommunistinnen und Kommunisten schafften es schnell, illegalen Widerstand gegen das NS-Regime aufzubauen. Bedauerlicherweise gelang es dem NS-Repressionsapparat fast genauso schnell, die Strukturen in Deutschland wieder zu zerschlagen und die handelnden Personen ins Gefängnis und ins Konzentrationslager einzusperren, zu foltern und nur allzu häufig zu ermorden.

Anbiederungsversuche

Gab es bei SPD und Gewerkschaften Anbiederungsversuche, um sich in der Anfangszeit des Dritten Reichs zu erhalten, organisierten sie, nachdem sie verboten worden waren, ebenfalls Widerstand in In- und Ausland. Dass sie dabei zurückhaltender vorgingen als die KPD, rettete zwar vielen von ihnen das Leben, aber kostete auch öffentliche Aufmerksamkeit und Wirksamkeit.

Ulrich Schneider: Arbeiterwiderstand im Dritten Reich. PapyRossa, Köln 2024, 130 Seiten, 12 Euro

Ulrich Schneider: Arbeiterwiderstand im Dritten Reich. PapyRossa, Köln 2024, 130 Seiten, 12 Euro

Bei der Darstellung des Vorkriegswiderstandes gelingt es Ulrich Schneider gut, durch viele regionale Beispiele die Verbreitung des Widerstands aufzuzeigen. Antifaschistischer Widerstand wirkte– wenn auch immer nur bis zum Auffliegen der Gruppen – als glaubhafte Nachrichtenquelle, zur Aufrechterhaltung der Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen, der oppositionellen Haltung unter Gleichgesinnten, als Anknüpfungspunkt für die wenigen Menschen, die sich enttäuscht vom NS-Regime abwandten, und auch als stete Gefahr für das Regime, das sich der real vorhandenen Unterstützung der Bevölkerung nie ausreichend sicher war.

Die Würdigung, dass sich unter dem verschärfenden NS-Terror im Krieg immer wieder Menschen fanden, die Gleichgesinnten vertrauten und mit ihnen gemeinsam selbst öffentlichkeitswirksam Widerstand leisteten, gelingt Schneider in bester Weise. Er zeigt eine Besonderheit des antifaschistischen Widerstands auf. Bei aller Geheimhaltung gelang es regelmäßig, Verbindungen zwischen den agierenden Gruppen herzustellen. Kenntnis von und Verbindung zu anderen Gruppen war zwar immer auf wenige oder einzelne Personen begrenzt, aber ist erkennbar.

Ulrich Schneider behandelt auch das Nachwirken des antifaschistischen Widerstands auf die Nachkriegsgesellschaften, aber auch die sich aus dem Kalten Krieg ergebenden Konflikte. Das Buch gibt zwar nur einen kurzen Überblick, schafft es aber durch regionale Beispiele und eine Vielzahl von benannten Organisationen und Gruppen Anknüpfungspunkte für Menschen zu schaffen, die mehr über Widerstand wissen wollen. Schön wäre für den wachsenden Teil der Leserschaft, denen das Vokabular der Arbeiterbewegung unverständlich ist, ein Glossar gewesen.