… zum Abschied

geschrieben von Christiane und Georg Chodinski

27. April 2024

Am 20. Februar ist Ilse Jacob in Hamburg verstorben

Was erzählt man über einen politischen, lebensfrohen, reiselustigen, kochfreudigen, zurückhaltenden, fürsorglichen, lesesüchtigen Menschen, eine Lebens-partnerin, Mutter, Oma, Freundin, Antifaschistin, Kameradin und Genossin? Ihre acht Jahrzehnte waren prall gefüllt – es reichte nicht nur für dein Leben, Ilse, du hast uns viel abgegeben. Danke! Also noch einmal: Was erzählt man? Ilse selbst notierte einmal dazu: »Erst will man gar nichts sagen, dann nur ganz wenig, und dann hat man auf einmal einen Zettel vor sich mit ganz vielen Stichworten …« Wir hatten allerdings nicht nur einen, sondern ein Meer von gelben Post-it-Zetteln auf unserem Wohnzimmertisch.

Natürlich gehört dazu, dass Ilse am 9. November 1942 als Tochter der Widerstandskämpfer Katharina und Franz Jacob zur Welt kam. Die Geschichte ihrer Eltern füllt Bücher, eins davon mit den Aufzeichnungen ihrer Mutter hat Ilse selbst herausgegeben. Franz wird von den Nazis 1944 hingerichtet. Katharina überlebt KZ und Zuchthaus.

Dieser Widerstand hat Ilse ihr Leben lang begleitet und angetrieben. Dazu gehören der Wunsch, Lehrerin zu werden, und die Entscheidung, als Lehrerin an eine Gesamtschule zu gehen. Ihre Mutter war für sie ein Beispiel dafür, welche Fähigkeiten in Arbeiterkindern zu entdecken und zu entwickeln sind. Es gibt viel über Ilse als Lehrerin zu erzählen, eins gehört auf jeden Fall hierher. Ilse Jacob sollte 1972 mit einem Berufsverbot belegt werden mit der Begründung:

Ilse hat

  • am Bundeskongress der VVN 1961 teilgenommen,
  • einen Aufruf gegen die Einführung der Vorbeugehaft unterschrieben und
  • war Erstunterzeichnerin eines Aufrufs für eine Anti-NPD-Kundgebung.

»Es war schon makaber, das zu lesen. Vater als kommunistischer Widerstandskämpfer hingerichtet, Mutter mehrfach in Vorbeugehaft«, schrieb Ilse später. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hatten sich damals mit Ilse solidarisiert. Am Ende wurde Ilse doch verbeamtet. Übrigens einen Trost hatte Ilse sich aufgehoben, für den Fall, dass sie nicht Lehrerin bleiben konnte. Sie wollte dann Taxifahrerin werden, denn, so Ilse: »Autofahren kann ich.«

Es gäbe noch viel über Ilse als Lehrerin zu erzählen, dazu gehört sicherlich, dass sie die Einrichtung von Integrationsklassen befürwortete und auch die Plakataktion einer ihrer Klassen zum Brandanschlag in Mölln 1992.

In ihrer Rede zum Abschied in den Ruhestand spring Ilse am Ende selbst in das geplante Nachberufsleben. Sie wollte … viel reisen, viele Tim-Mälzer-Rezepte ausprobieren, endlich ein 3000er Puzzle beginnen und sich an einer Arbeit versuchen über den Zusammenhang von Rauchverbot und Kommunikationsmängeln.

Ilse Jacob spricht 2010 beimOhlsdorfer Friedensfest.
Foto: Georg Chodinski

Ilse Jacob spricht 2010 beim
Ohlsdorfer Friedensfest.
Foto: Georg Chodinski

Im Geschäftsführenden Landesvorstand der Hamburger VVN-BdA hat Ilse immer wieder ihre Schatztruhe geöffnet. Das war ihr Wissen von Menschen, deren Zusammenhängen und deren vielen Vorgeschichten. Der 8. März heißt bei der Hamburger VVN-BdA seit langem »Widerständiges Frauenleben«. Es war ihr wichtig, immer wieder aufzuzeigen, dass und wie Frauen am Widerstand gegen das Naziregime beteiligt waren. Dazu gehört auch die Lesung über ihre Mutter Katharina Jacob. Doch das ist nur der Anfang einer längeren Namensliste mutiger Frauen. Im Hintergrund begleitete uns viele Jahre ihre Schwester Ursel, die bis zu ihrem Tod zum Thema Widerstand und Verfolgung in Hamburg geforscht und publiziert hat und als Chronistin des Hamburger Widerstands gilt.

Noch ein Blick weiter zurück. Lange Zeit war die DKP Ilses Hauptbezugsgruppe und das Wohnzimmer in der Alsterkrugchaussee deren Versammlungslokal. Das Kuratorium der Gedenkstätte Ernst Thälmann gehörte ebenso zu ihrer politischen Heimat und noch früher die Geschwister-Scholl-Jugend und in den 60ern der Hamburger SDS, deren Vorsitzende sie 1963 wurde.

Ilse privat, das heißt vor allem Familie. Familie bedeutete zunächst ihre Mutter und Schwester Ursel und dann Benno Wormbs. Als Benno 1962 nach Hamburg kam, hatte er eine Empfehlung in der Tasche von Trude Neuhof, die Katharina Jacob aus Ravensbrück kannte. Bei Familie Jacob war ein Zimmer frei, weil Ursel viel unterwegs war. Benno blieb ein Jahr lang, dann nahm er sich ein eigenes Zimmer und später eine kleine Wohnung. Benno und Ilse blieben Freunde und wurden später ein Liebespaar.

Sie bekamen zwei Kinder, Katharina und Peter. Im Kindergarten bekam Ilse schon mal zu hören: Einmal kann das ja passieren, aber ein zweites Mal!?

2006 ging Ilse in den Ruhestand, und es wurde geheiratet, die »wilde Ehe« hatte ein Ende. Ihre Kinder bezeugen, sie haben sich wirklich getraut, und sie waren glücklich verheiratet.

Ein letzter Blick auf Ilses To-Do-Liste: Aus der Arbeit über den Zusammenhang von Rauchverbot und Kommunikationsmängeln ist nichts geworden.

Es bleibt noch viel zu erzählen. Jede und jeder von uns trägt Erinnerungen an Ilse in sich. Wir verlieren mit Ilse eine Mitstreiterin und liebe Freundin. Sie hatte uns lange im Voraus zu ihrem 80. Geburtstag eingeladen. Leider war sie zu krank für dieses Fest geworden.