AfD bestreiken

geschrieben von Markus Roth

4. Juli 2024

Fit machen gegen die Machtübernahme

Einen »Riesenerfolg« nennt Thüringens CDU-Chef Mario Voigt die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 26. Mai bzw. die Tatsache, dass die AfD mit 26 Prozent (8 Prozent mehr als bei der letzten Kommunalwahl) »nur« zweitstärkste Kraft in Thüringen geworden ist und in der Stichwahl am 9. Juni keines der neun Landrats- oder Bürgermeisterämter erringen konnte. Auch die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) schaut nur auf die Spitzenpositionen, wenn sie zu Protokoll gibt: »Viele Menschen wollen auf keinen Fall von der AfD regiert werden«. Der Präsident des Thüringer Städte- und Gemeindebunds, Michael Brychcy (CDU), sieht es pragmatisch und will die AfD selbstverständlich an den Regierungsgeschäften (er nennt es »Sachfragen«) beteiligen. Denn in neun von 22 Wahlkreisen hat die AfD ohnehin die Mehrheit in den Kommunalparlamenten und wird zusammen mit der CDU die Geschicke der Kreise und Ortschaften nun auch formal legitimiert bestimmen. Zu dieser, auf großer Bühne verdeckten, Wahrheit gehört, dass die ausgerufene »Brandmauer« für die Kommunalpolitik noch nie galt – wie Anika Taschke und Steven Hummel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrer umfangreichen Studie zur Zusammenarbeit der Parteien für die Zeit 2019 bis Ende 2023 nachgewiesen haben. Doch was bedeutet diese galoppierende Normalisierung der AfD für die Gegner*innen ihrer Politik? Auf was müssen wir uns vorbereiten, um nicht nach den Landtagswahlen im September in Panik zu geraten? Abseits vom hektischen Tagesgeschäft gibt es seit fast einem Jahr eine Paralleldiskussion zum Überwintern unter AfD-Regierungsbeteiligung. Daran beteiligt sind alternative Jugend- und Kulturzentren, Einrichtungen der politischen und historischen Bildung, Träger der Sozialhilfe, Inklusions- und Integrationsprojekte, die um ihre Zukunft bangen und vereinzelt auch Parteienvertreter*innen und gewerkschaftliche Akteure, die die Staatsbediensteten in Verwaltung und Bildungseinrichtungen vertreten.

Leicht, AfD-Programmatik umzusetzen

Das »Was wäre wenn?« – das Ausloten der Optionen der AfD in Regierungsverantwortung –, ist nun den Fragen nach dem »Leben unterm Hakenkreuz« gewichen. Der Verfassungsblog hat für Thüringen aufgezeigt, wie leicht es der AfD fallen wird, ihre Politik durchzusetzen. Unliebsames Personal ist schnell ausgetauscht, eigenes bis hoch in Richterämter und Rundfunkräte platziert – bis diese abgeschafft werden. Regiert wird nicht über Gesetze, sondern über die Aushebelung der Parlamente durch Verordnungen, interne Weisungen, Mobilisierung sowie Entzug von Geld, faktische Macht durch Polizei und Militär. Dass die demokratischen Verfahren und Institutionen, die als Fundament der Demokratie gelten, nicht gut gegen jene geschützt sind, die sie aushebeln wollen, wissen wir schon lange. Getan wurde dagegen wenig, als es noch die Möglichkeit gab. Ganz so ungewiss sind auch nicht die inhaltlichen Schwerpunkte. Aus den Nachbarländern kennen wir sie: Durchsetzung exklusiver nationaler Solidarität, Abschaffung freier Medien und unabhängiger Justiz und Zerschlagung einer Opposition, egal ob die aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft oder aus der Parteienlandschaft kommt. Alles bekanntlich ohne die Verfassung oder die Demokratie formal abschaffen zu müssen.

Markus RothVorbereitung auf Blockade und Streik

Arne Semsrott von Frag-den-Staat fordert den nächsten Schritt des Widerstands vom Positionierungswettstreit auf großen Demos hin zu einem gründlichen Security-Check der Institutionen bis hin zur Vorbereitung auf Blockade und Streik. Alle, die daran noch ein Interesse haben, sollten sich vergegenwärtigen, wo sie Verantwortung tragen, wie sie das nutzen, wie sie sich dazu vernetzen und organisieren und ob sie kurz- und langfristige Strategien gegen den Umbau des Staates durch die AfD haben. Schon jetzt kann die Politik die eigenen Durchgriffsrechte begrenzen und die Rechte der Bürger*innen stärken. So kann der potenziellen Machtübernahme die Dynamik genommen werden. Konkrete Themen sind Datenschutz, Gewaltenteilung, das Ausufern der Neutralitätspflicht und das aktuelle Verschleppen der Demokratiefördergesetze. Die AfD an der Macht kann auch bestreikt werden. Fünf Millionen Beamte können sich auch mal weigern (sog. Remonstrieren), Informationen öffentlich machen (Whistleblowing), sich krankschreiben lassen oder bummeln. Auch wenn die juristischen Bedingungen für einen politischen Generalstreik noch nicht da sind, sollten zumindest branchenübergreifende Auseinandersetzungen mehr zur Regel werden. Und wie ist das mit den Ressourcen? Geld hat nicht nur der Staat zur Verfügung. Was spricht dagegen, wichtige Einrichtungen durch einen spendenbasierten Fonds zu betreiben und damit unabhängig von staatlicher Einflussnahme zu machen? All das sind Punkte, die wir früher oder später angehen müssen. Aus historischem Bewusstsein heraus ist zumindest klar, dass Abwarten keine Lösung sein kann.

Zum Weiterlesen

  • Arne Semsrott: Machtübernahme – Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand. Droemer Knaur, München Juni 2024, 22 Euro
  • Steven Hummel und Anika Taschke: Hält die Brandmauer? Studie zu Kooperationen mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen. RLS, März 2024, als PDF kostenlos zu finden unter kurzlinks.de/brandmauer-rls
  • Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp, Berlin 2023, 25 Euro
  • Das Thüringen-Projekt, verfassungsblog.de