Angriffe auf Freiheiten

geschrieben von Bernd Kant

4. Juli 2024

75 Jahre Grundgesetz: »Demokratischer Ratschlag« in Bonn

Die Gesprächspartner des »Demokratischen Ratschlag« am 22. Mai in Bonn beleuchteten nicht nur 75 Jahre Grundgesetz als »Erfolgsgeschichte«, sondern auch die gleichzeitigen Angriffe auf die dort verankerten demokratischen Rechte und Freiheiten.

Maike Finnern, GEW-Bundesvorsitzende, würdigte das Grundgesetz, kritisierte aber den aktuellen Weg staatlicher Institutionen, extrem rechte Bewerber aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten, als Wiederauflage der Fehler des »Radikalenerlasses«. Man spreche von »Extremisten« und billige dem Verfassungsschutz die Interpretationshoheit über diesen Begriff zu. Gleichzeitig werden die Instrumente des Rechtsstaates eingeschränkt. Prof. Josef Foschepoth präsentierte den Teilnehmenden seine Forschungsergebnisse zum KPD-Verbot. Besondere Aufmerksamkeit erzielte er mit einer Tabelle der politischen Gerichtsverfahren gegen NSDAP-Mitglieder und KPD-Anhänger in den Jahren der Adenauer-Regierung. Auf einen angeklagten NSDAP- oder SS-Angehörigen, die zumeist wegen schwerer »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeklagt waren, kamen mehr als sieben Angeklagte der KPD, die zumeist wegen Verstoß gegen das KPD-Verbot verurteilt wurden. Rechtsanwalt Joachim Kerth-Zelter (Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen) behandelte das Asylrecht und seine historische Begründung. Gleichzeitig erinnerte er an die ersten Einschränkungen nach den rassistischen Übergriffen Anfang der 1990er Jahre, an die weitgehende Abschaffung und Konterkarierung durch eine massive Abschiebepolitik der Bundesregierung, für die es nicht einmal der AfD bedarf.

Ulrich Schneider (VVN-BdA) schilderte, warum sich gerade diese Organisation gegen die Berufsverbote engagiert hat. Er erinnerte daran, wie viele der Betroffenen des »Radikalenerlasses« Kinder von Frauen und Männern aus Widerstand und Verfolgung waren. Diejenigen, die sich für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn eingesetzt hatten, mussten erleben, dass sie selber wegen ihrer Überzeugung in den 50er- und 60er-Jahren bespitzelt und verfolgt wurden. Nun erreichte diese staatliche Repression ihre Kinder. Dass solche Angriffe nicht zu Ende sind, zeigte die Auseinandersetzung um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA. Zum Abschluss berichtete Werner Siebler über seine Erfahrungen mit dem Berufsverbot als Postbote. Bei jüngeren Gäste löste dieser Fall nur Kopfschütteln aus.

Eine ähnliche Reaktion war schon bei der Eröffnung der Ausstellung »›Vergessene‹ Geschichte. Berufsverbote. Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland« vor dem Ratschlag zu erleben. Mit Unterstützung der GEW Bonn sollte sie 14 Tage im Beueler Rathaus gezeigt werden. Aufgrund des Protestes eines »besorgten Bürgers«, der die Nähe der Ausstellung zum Briefwahllokal zur EU-Wahl als »Wahlbeeinflussung« ansah, räumte die Stadtverwaltung die Ausstellung vorzeitig ab. Wahrlich ein anschauliches Spiegelbild des Zustandes unserer Demokratie nach 75 Jahren Grundgesetz.

Es war selbst dem Bonner Generalanzeiger einen ausführlichen Bericht im Lokalteil wert, als am 22. Mai zahlreiche Betroffene der »Berufsverbote-Politik« am Vorabend des Grundgesetz-Jubiläums auf dem Bonner Münsterplatz auf ihre Situation und die fünfzigjährige Verfolgung hinwiesen. Diese Aktion war der Auftakt für einen hochkarätig besetzten »Demokratischen Ratschlag«, zu dem von den »Initiativen gegen Berufsverbote« nach Bonn-Beuel eingeladen worden war.