Flucht nach vorn
4. Juli 2024
Plädoyer für Antifaschist:innen: Solidarität, die Sorge füreinander als politisches Programm
Die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen sind bitter – mancherorts liegt die AfD bei 40 Prozent, andernorts hat sie mehr Sitze gewonnen, als sie überhaupt KandidatInnen aufgestellt hatte. Trotz desaströser Wahlkampagne ein Erfolg auf ganzer Linie für die Rechten. Nun kann man sich als Linke:r unterschiedlich trösten. Absolut notwendig ist vor allem, sich von den Zyniker:innen fernzuhalten. Auch exzessives Selbstmitleid ist mit Vorsicht zu genießen. Im Großen und Ganzen hilft, was immer gegen gebrochene Herzen hilft: Sich von Social Media fernhalten und der Wahrheit ins Auge sehen.
Seit Jahrzehnten macht die politische Linke der breiten Bevölkerung Avancen, Angebote und Liebesschwüre. Doch die macht lieber mit irgendwelchen menschenfeindlichen Brutalos gemeinsame Sache, die sich für ihre politischen und wirtschaftlichen Belange nicht die Bohne interessieren. Da kann man noch so laut fordern, dass es weniger trans Menschen auf der Welt geben soll (Sahra Wagenknecht), noch so viele Abschiebungen durchsetzen (Olaf Scholz), gegen das Original von rechts kommt man nicht so leicht an.Die Brutalomänner von der AfD
Auch parlamentarisch ist man nicht gut aufgestellt. Blasse grüne Politiker:innen in schlecht sitzenden Anzügen haben natürlich nichts zu bieten. Egal, wie viele Elektroautos die Baerbocks dieser Welt subventionieren: Die Brutalomänner von der AfD, die sich ein noch aggressiveres Hauen und Stechen um Arbeitsplätze, Wohnungen und Ressourcen wünschen, haben einen Marktvorteil. Denn sie wollen nichts wirklich Zentrales in der Gesellschaft verändern, außer noch mehr Gewalt gegen Arme, Frauen, Queers und Menschen mit Migrationsgeschichte – eine einfache politische Forderung im Kapitalismus. Und wenn das Gegenangebot Robert Habeck sein soll, muss man sich auch nicht wundern, dass es schlecht läuft.
Es ist ein Trauerspiel: Wir kennen die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, die Menschen politisch frustrieren, sie einsam, arm und unglücklich machen. Es gibt auch bessere Möglichkeiten, diese Bedingungen zu überwinden, als Robert Habeck. Durch politische oder gewerkschaftliche Organisierung zum Beispiel, oder durch die Erfahrung von Freund:innenschaft und Solidarität. Und trotzdem entscheiden sich erschreckend viele Menschen nicht dafür, sondern für eine ganz andere Alternative: die AfD.
Da bleibt nur die Flucht nach vorn. Wir müssen die Brutalität ohne komplizierte Umwege überwinden, anstatt uns mit der gesellschaftlichen Kälte gemein zu machen. Klaus Theweleit, Literaturwissenschaftler mit einem Händchen für Psychoanalyse und schöne Worte, hat schon in den siebziger Jahren erkannt, dass die Härte, die in der Männlichkeit liegt, ein ernstes Problem ist – nicht nur für Frauen, sondern eigentlich für alles. In seinem Buch »Männerphantasien«, das wir in dieser verzweifelten Situation nur zu gerne aus der Mottenkiste holen, weist er darauf hin, dass Männlichkeit, Frauenhass und faschistische Tendenzen nicht nur zusammenhängen, sondern aufeinander aufbauen. Die Rechten bauen sich eine ganze Welt auf, um ihre eigene Verhärtung und Verrohung aufrechtzuerhalten. Alles, was ihre Männlichkeit bedroht, muss angegriffen und kleingehalten werden.
Ehe, Küche, Vaterland
Bei den rechten Männern der AfD lässt sich das lehrbuchhaft beobachten: Ihr paranoider Hass auf Queers, deren bloße Existenz wahnhafte Aggressionen in ihnen auslöst. Ihre Objektivierung von Frauen, die von klein auf ihre eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse zurückstellen sollen, um ihr Leben (und ihre Gebärmutter) für Ehe, Küche, Vaterland zu opfern. Ihre völlig absurde Fixierung auf eine starke, militärische Männlichkeit, die sich nur zu wunderbar mit dem Patriarchat und dem Kapitalismus identifiziert. Kein Wunder, dass Frauenhasser, wie Andrew Tate und Elon Musk, so auf die AfD abfahren: Die Partei schafft genau das Angebot, das sich diese Typen wünschen.
Mit mehr Heteros, mehr Abschiebungen und mehr Deutschlandtickets ist diesen Männerphantasien leider nicht beizukommen. Antifaschist:innen bleibt nur eine Praxis, die auf das wirkliche Gegenteil von militärischer Männlichkeit und Brutalität verweist: die Solidarität, die Sorge füreinander als politisches Programm und die Überwindung des gepanzerten Individuums in ihren politischen Alltag integriert. Das kann bedeuten, Politik in den Jugendzentren, auf den Pride Parades und mit den Punks in der Fläche und auf den Dörfern zu machen. Es kann auch bedeuten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, weil klar ist, dass wirkliche Sorge füreinander nur möglich ist, wenn sich auch ökonomisch etwas grundlegend ändert. Es bedeutet sicher auch, sich Beziehungen auszusetzen, in denen Feminismus keine Floskel oder ein Lippenbekenntnis ist, und auch die eigene Härte und Abgeklärtheit zu überwinden – in der Hoffnung, dass die Erfahrung jenseits des Körperpanzers auch ganz schön ist. Das ist auch erfüllender als Zynismus und exzessives Selbstmitleid.
Lesetipp:
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz Berlin, 1.278 Seiten, 48 Euro