Lebenslang gegen Nazis
4. Juli 2024
Max Oppenheimer: KZ, Exil – und danach stets aktiv
Am 15. August ist es 30 Jahre her, dass uns Max Oppenheimer nach schwerer Krankheit für immer verließ. Er gehörte, am 20. Oktober 1919 geboren, zu jener Generation junger Menschen, die wegen ihrer Herkunft – bei Max war es seine jüdische Familie – ihrer Lebensweise oder ihrer politischen Aktivitäten gegen das sich ankündigende NS-Regime und dessen Verursacher verfolgt, eingesperrt, ermordet wurden. Max war einer der wenigen, denen es noch gelang, nach einer kurzen Inhaftierung in Dachau, in andere, gewisse Sicherheiten versprechende Länder zu flüchten. Hier war es die Schweiz, auf die dann nach diversen Auswanderungsversuchen England folgte.
Auch dieses Exilland, das, wie Oppenheimer lernen musste, sich ähnlich verhielt, wie schon in der Schweiz erfahren, gab ihm anfangs wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Umso interessanter deshalb, dass sich just in diesem Umfeld mit britischen Unterstützer:innen deutsche Exil-Communities entfalten konnten, denen aktiv am Kampf gegen das Naziregime gelegen war. All dies spielte auch später wieder eine Rolle, sowohl in der alten BRD (die als Jüdin verfolgte Ruth Jakusch wurde erste Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau) als auch in der DDR (vgl. antifa Nov./Dez. 2023, S. 21 zu Fred Dellheim).
Der Titel von Max Oppenheimers Erinnerungsbericht im 1981 erschienenen Band 4 der im damaligen Frankfurter Röderberg-Verlag seit 1978 herausgegebenen Publikation »Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst« lautete: »›Die Moorsoldaten‹ – antiquarisch«. Schon dieser Überschrift mangelt es nicht an einer gewissen Originalität. Denn seit Jahrzehnten kannte und kennt man den Verfasser des Buches »Die Moorsoldaten« Wolfgang Langhoff als Mitautor des weltweit berühmten gleichnamigen Liedes der Gefangenen aus dem KZ Börgermoor. Weniger bekannt war und ist vielen bis heute, dass Langhoff – dem NS-Regime ins Schweizer Exil entkommen – dort 1935 seinen Erlebnisbericht »Die Moorsoldaten« publizieren konnte und öffentliche Aufmerksamkeit erhielt.
Max Oppenheimer schreibt, nachdem er über seine eigene kurze Exilzeit bei einer Familie am Genfer See berichtet hatte, für die ihm monatlich 25 Franken von einem Schweizer Hilfskomitee gezahlt wurden: »Arbeiten durfte ich nicht, und so hatte ich viel Zeit, herumzulaufen (…) Besonders zogen mich Buchhandlungen an, die ähnlich wie entlang der Seine in Paris Kästen vor den Schaufenstern aufgestellt hatten, in denen antiquarisch Groschenheftchen, aber auch sogenannte gute Literatur in allen möglichen Sprachen zu finden waren. Eines Tages sah ich zwischen all dem Wust einen broschierten Band mit dem Titel ›Die Moorsoldaten‹ von Wolfgang Langhoff. Ich konnte mir darunter nicht viel vorstellen. Was bedeutete schon für mich damals das Wort ›Moorsoldaten‹. Doch der Untertitel ›13 Monate Konzentrationslager‹ elektrisierte mich, da ich ja selbst nur wenige Wochen zuvor aus dem KZ Dachau entlassen worden war. So fing ich an zu lesen: Von der Verhaftung Langhoffs nach dem Reichstagsbrand, den Verhören und Mißhandlungen durch SA und SS und schließlich der Überführung ins Moorlager.«
Oppenheimer erzählt weiter, wie er mit dieser Lektüre befasst war. Aus Armutsgründen stehend an den Buchhandlungskästen »immer zitternd, ob das Buch nicht inzwischen verkauft war, um dort weiterzulesen, wo ich am Tag zuvor aufgehört hatte. Wie gerne hätte ich die wenigen Franken, die es kostete, bezahlt, doch dazu reichte mein Geld nicht. Die Magenfrage war wichtiger …« Jedoch resümiert er, dass für ihn Langhoffs Ausführungen »eine direkte Aufforderung, selbst etwas zu tun«, enthalten hätten.
»Ich war damals 19 Jahre alt und hatte außer Schulaufsätzen und Briefen an meine Eltern und Freunde noch nichts geschrieben. Doch nun setzte ich mich hin und verfasste einen ausführlichen Bericht über das, was ich in Dachau erlebt hatte. Mit einem freundlichen Begleitbrief schickte ich das Epistel an die Baseler Nationalzeitung zum Abdruck. Den Inhalt des Antwortschreibens habe ich noch immer im Kopf. Von den guten Beziehungen der Schweizer Regierung zum Hitler-Reich, von der Notwendigkeit, diese nicht zu zerstören, war darin die Rede, und im übrigen wurde mir höflich, aber deutlich erklärt, daß mein Bericht doch wohl ein wenig übertrieben, subjektiv und sehr durch die Emigrantenbrille geschrieben sei. Natürlich war ich durch diesen Brief enttäuscht und verbittert. Doch die Lektüre der ›Moorsoldaten‹ hatte mir geholfen, Maßstäbe zurechtzurücken, die Dinge in ihrer richtigen Proportion zu erkennen und Kraft zu sammeln, um mich mit Unrecht und Verfolgung auseinanderzusetzen.«
Diese Kraft behielt Max Oppenheimer in den auf den Schweizer Aufenthalt folgenden Exiljahren und nach seiner Rückkehr in die alte Heimat. Sein Vater und sein Bruder waren Opfer des Holocaust geworden. Zuerst in Stuttgart, dann wieder in Heidelberg und Wiesloch und viele Jahre lang in haupt- und ehrenamtlichen Funktionen in Gremien und in Publikationen der damaligen VVN-BdA-Bundesorganisation in Frankfurt am Main engagierte er sich in der Friedensbewegung und gegen alten und neuen Faschismus. Im Jahr 1984 promovierte er überdies noch mit der Dissertation »Vermittlung des antifaschistischen Widerstandes 1933–1945 als Beitrag zur demokratischen Erziehung der jungen Generation« zum Dr. phil. an der Uni Bremen.