Nationalistische Polarisierung

4. Juli 2024

Gedanken zur diesjährigen Befreiungsveranstaltung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück

Am Sonntag, dem 14. April 2024, fand die 79. Feier anlässlich der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück statt. Die Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis e. V. hatte bereits am Tag zuvor gemeinsam mit der Privatinitiative Grüneberg eine Gedenkveranstaltung am Gedenkort des ehemaligen Außenlagers Grüneberg ausgerichtet, in dem etwa 1.800 Gefangene aus Ravensbrück in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Mehr als hundert Menschen nahmen teil, darunter viele aus Grüneberg und Umgebung, aus Warschau vom »Klub der ehemaligen Gefangenen in Ravensbrück« und aus Kraków von der »Vereinigung Familie der Ravensbrückerinnen« sowie Pfadfinder:innengruppen aus drei verschiedenen polnischen Städten.

Gedenken durch Rechte verunmöglicht

Der Sonntagmorgen begann mit der traditionellen Feier am Sowjetischen Ehrenmal, bei der der Befreier:innen gedacht wurde. Die offizielle Gedenkfeier begann am Vormittag. Bei dieser sprach unter anderen Barbara Piotrowska, die als Neunjährige mit ihrer Mutter im Oktober 1944 im Zuge der Niederschlagung des Warschauer Aufstands nach Ravensbrück deportiert worden war. Leider konnten die meisten Mitglieder der Lagergemeinschaft sich am Sonntag nicht dem Gedenken widmen. Denn wie im Vorjahr war eine größere Gruppe der faschistischen NSZ (Narodowe Siły Zbrojne – Nationale Streitkräfte) aus verschiedenen polnischen Städten angereist. Sie hatten in diesem Jahr sogar einen eigenen Lautsprecherwagen dabei.

Polnische Rechte der »Nationalen Streitkräfte« (Narodowe Siły -Zbrojne) am 14. April in der Gedenkstätte Ravensbrück mit einer ordentlichen Portion Opfermythos.Foto: Facebook-Seite der NSZ

Polnische Rechte der »Nationalen Streitkräfte« (Narodowe Siły -Zbrojne) am 14. April in der Gedenkstätte Ravensbrück mit einer ordentlichen Portion Opfermythos.
Foto: Facebook-Seite der NSZ

Symbole der NSZ, die während des Zweiten Weltkriegs Jüd:innen, Ukrainer:innen und Menschen anderer nationaler Minderheiten sowie andersdenkende Pol:innen ermordeten, sind laut Hausordnung auf dem Gelände von Ravensbrück verboten. Die Gruppe hatte bereits im vergangenen Jahr gezielt provoziert und auch in diesem Jahr ihren Auftritt systematisch choreogra-fiert: Man postierte sich hinter mehreren Transparenten, auf denen unter anderem die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte persönlich angesprochen und diffamiert wurde. Als die Polizei aufgrund der Hausordnung der Gruppe den Zutritt zum Gelände mit Symbolen der NSZ verwehrte, sickerten einzelne Mitglieder der Gruppe ein und attackierten mit übergriffigem Filmen und herabwürdigenden beleidigenden Sprüchen Mitglieder der Lagergemeinschaft am Büchertisch. War in den vergangenen Jahren das polnische Staatsfernsehen vor Ort und erhöhte somit die Reichweite der nationalistischen Botschaften in Polen massiv, war nach dem Regierungswechsel im vergangenen Herbst zwar nur ein rechter Privatsender anwesend, dessen Mitarbeiter aber um so penetranter den Büchertisch und einzelne Personen abfilmte. Auch an anderen Stellen des Geländes wurden Mitglieder der Lagergemeinschaft bedrängt.

Nationalistischer Auftritt

Im Zentrum der Organisierung des nationalistischen Auftritts in Ravensbrück steht die NSZ-Gruppe aus Szczecin. Diese fokussiert auf ihrem Social-Media-Account vor allem darauf, dass ihnen als Pol:innen mit ihrer Symbolik der Zutritt verwehrt werde, während die »deutsche linksextreme Antifa« eine Antifafahne zeigen dürfe: »Die Polen als Opfer werden ohne den gebührenden Respekt behandelt, dabei waren es die Deutschen, die Millionen von Polen ermordet haben, und nicht andersherum. Wir hoffen, dass die polnischen Behörden bis zu den Gedenkfeiern im nächsten Jahr die Ausgrenzung der Polen und die skandalöse Haltung der Leitung des Konzentrationslagers Ravensbrück angemessen aufgearbeitet haben werden.«

Es war offenkundig, dass sich die Gruppe der NSZ weder für die Rede von Barbara Piotrowska interessierte noch für die anderen anwesenden polnischen Angehörigen ehemaliger Gefangener von Ravensbrück. Es ging ihnen vor Ort ausschließlich um eine nationalistische Polarisierung und Vereinnahmung der Gedenkfeier. In weiteren Social-Media-Beiträgen schürten sie die Opferkonkurrenz: »Die Deutschen glauben, dass die Hauptopfer des Zweiten Weltkriegs die Juden und erst viel später die Polen waren.« Ein weiterer Argumentationsstrang gegen die Lagergemeinschaft war homofeindlich und sexistisch motiviert. So wurde die Gedenkfeier, die die Lagergemeinschaft auf dem Friedhof Fürstenberg gemeinsam mit dem Warschauer Klub der ehemaligen Gefangenen in Ravensbrück abhielt, als »Vereinnahmung des Grabs der polnischen weiblichen politischen Häftlinge durch lesbische Kreise« bezeichnet.

Hier zeigt sich erneut, wie das Gedenken an die Verbrechen der NS-Zeit von nationalistischen Gruppen instrumentalisiert wird und dass heutiges Mahnen und Gedenken eng mit den aktuellen politischen Geschehnissen verbunden sind. Es ist davon auszugehen, dass das zum 80. Jahrestag der Befreiung im nächsten Jahr weitergehen wird. Auch deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Antifaschist:innen weiterhin die Befreiungsfeiern besuchen.

Einige Mitglieder der Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis e. V.