Katastrophales Desaster
8. September 2024
Zum Wahlausgang in Sachsen und Thüringen
Wenn es das gibt, muss es wohl heißen, die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen vom 1. September sind ein katastrophales Desaster. Extreme Rechte sind erstmals seit der Befreiung im Mai 1945 stärkste Kraft in einem deutschen Landesparlament geworden, mit bisher schwer abschätzbaren Folgen. Eines ist jedoch klar: Der gesellschaftliche Nährboden auch für rechte Gewalt ist schon jetzt immens (siehe Seite 8) und wird durch die weitere Etablierung der AfD für die Betroffenen noch bedrohlicher.
Die Höcke-AfD (32,8 Prozent) in Thüringen gewann nach vorläufigem Endergebnis mit fast zehn Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU. In Sachsen verfehlte die extrem rechte Partei (30,6 Prozent) diese Position und liegt nur gut einen Prozentpunkt hinter der Union. Die triumphalen Siegeszüge der AfD erfolgten klar mit Ansage: Die Demoskop:innen waren in den Umfragen vielfach ziemlich nah dran an den tatsächlichen Ergebnissen am Wahlabend – und das seit Monaten. Es ist zu befürchten, dass das Überbietungsrennen um rechte Positionen – kurz vor der Wahl noch mal deutlich an den Reaktionen auf das mutmaßlich islamistisch motivierte Attentat von Solingen – dennoch kein Ende finden wird.
Aus dem Stand wurde das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zum Machtfaktor, kam auf zweistellige Ergebnisse (Sachsen 11,8 und Thüringen 15,8 Prozent) und dürfte in beiden Bundesländern Regierungsverantwortung übernehmen müssen, sollte die AfD nicht zum Zug kommen. Das BSW zog dabei – nicht, wie mehrfach großspurig angekündigt, der AfD, sondern – insbesondere Stimmen von Die Linke ab. Diese konnte in Sachsen mit 4,5 Prozent nur aufgrund zweier gewonnener Direktmandate in Leipzig überhaupt in den Landtag gelangen und verlor in Thüringen mit 13,1 Prozent verglichen mit 2019 rund 55 Prozent ihrer Wähler:innen (schaut man auf die absoluten Zahlen). Die Wahlbeteiligung in beiden Bundesländern lag außergewöhnlich hoch (Sachsen 74,4 und Thüringen 73,6 Prozent).
Auch für die Parteien der Ampel-Koalition sind die Wahlen ein Fiasko. In Erfurt schaffte es mit 6,1 Prozent nur die SPD ins Parlament, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sind hier unter ferner liefen. In Sachsen liegt die SPD bei 7,3 Prozent und die Grünen erreichten den Landtag knapp mit 5,1 Prozent, für die Liberalen stimmten sogar nur 0,9 Prozent. Zahlreiche Kommentator:innen beschworen bereits ein Ende der Ampel-Koalition in Berlin, sollten die Wahlen in Brandenburg am 22. September ebenso nach hinten losgehen. Auch hier liegt die AfD in Umfragen seit Monaten vorn, gefolgt allerdings von der SPD.
Die Wahlergebnisse dürften beim Blick auf mögliche Regierungskonstellationen für die Beteiligten noch Probleme bedeuten und bisher undenkbare Koalitionen nötig machen. Bisher schließen in Thüringen und Sachsen alle im Parlament vertretenen Parteien eine direkte Zusammenarbeit mit der AfD aus. Es ist aber fraglich, ob es dabei bleibt: Nach Presseberichten soll ein Drittel der CDU-Abgeordneten in Sachsen für einen »pragmatischen Umgang mit der AfD« sein, in Thüringen sei die Lage ähnlich. Zudem sind beide Bundesländer – gerade beim Blick in die Kommunen und Landkreise – bekannt dafür, dass dort die sogenannte Brandmauer insbesondere der CDU zur AfD am allerstärksten wankt. Auch im BSW ist man teils gewillt, »guten« AfD-Anträgen zuzustimmen.
In Thüringen fehlt genau eine Stimme für die Landtagsmehrheit im Falle einer Koalition aus CDU, SPD und BSW, womit Die Linke Mehrheitsbeschafferin wohl in Form einer Duldung werden dürfte, weil die Bundes-CDU Koalitionen mit ihr auch auf Landesebene bisher verbietet. Die Linke zeigte sich dafür offen. Käme es dazu, wäre die AfD die einzig verbliebene Opposi-tionspartei. In Sachsen sind mehrheitsfähige Koalitionen nach jetzigem Stand nur zwischen CDU und BSW entweder mit den Grünen oder der SPD realistisch. Weil in in Thüringen die AfD mehr als ein Drittel der Parlamentssitze gewinnen konnte, greift hier die »Sperrminorität«, und die Partei hätte auch, ohne Teil der Regierung zu sein, ein enormes Macht- und Druckpotential. Entscheidungen, die einer Zweidrittelmehrheit im Landtag bedürfen, könnte sie aushebeln, etwa geplante Verfassungsänderungen, die Ausrufung von Neuwahlen oder Entscheidungen zur Zusammensetzung des Landtagspräsidiums. Ebenso hat die AfD nun bedeutenden Einfluss auf die Wahl von Verfassungsrichter:innen: Sie könnte deren Ernennungen verhindern und damit die Arbeitsfähigkeit des Gremiums beeinträchtigen oder gänzlich lahmlegen. In Sachsen verfehlte die AfD die Sperrminorität mit nur einem Parlamentssitz äußerst knapp.
Der Wahltag fiel diesmal genau auf den 85. Jahrestag des Beginns des Krieges von Nazideutschland gegen Polen. Im Nachbarland nahm man das Datum abermals zum Anlass, von der Bundesrepublik Reparationen für die NS-Verbrechen zu fordern, aber ansonsten vor der Bedrohung aus Russland zu warnen.
Ein Siegeszug der Faschisten hatte schon einmal in Thüringen einen Anfang genommen: Vor gut 100 Jahren, im Februar 1924, wurde die Vereinigte Völkische Liste (VVL) im Landtag Mehrheitsbeschafferin einer Regierung des rechtskonservativen Thüringer Ordnungsbundes. Mit einem Ministerposten für Wilhelm Frick (Ressort Inneres/Volksbildung) wurde ebenfalls in Thüringen einige Jahre später, am 23. Januar 1930, die NSDAP belohnt – besiegelt durch bürgerliche Parteien.
Siehe auch Solidaritätsaufruf mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: stiftung-bg.de/aktuelles/solidaritaetsaufruf