Neue Eskalationsstufe
8. September 2024
Politik gegenüber Geflüchteten zukünftig noch stärker von Abschottung geprägt
Asylverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe, Abschiebungen in Länder ohne Schutz für die Geflüchteten – dies sind nur einige Beispiele für die neue Dimension der EU-Abschottungspolitik. Auf Bundesebene steht die Asylpolitik den rassistischen Narrativen und der stetigen Aushöhlung des Asylrechts in nichts nach. Nun soll mit der Bezahlkarte der Bargeldzugang für Geflüchtete massiv eingeschränkt werden.
Mit der Einigung zum Asylpakt (Gemeinsames Europäisches Asylsystem, kurz GEAS) durch den EU-Rat und das EU-Parlament im April 2024 erreichte Brüssel einen historischen Tiefpunkt für die Menschenrechte. Der neue Asylpakt, der ab Mitte 2026 in Kraft tritt, beschneidet die Rechte von Menschen auf der Flucht massiv. Mit Hilfe von Deals mit autokratischen Regierungen werden Asylsuchende an den EU-Außengrenzen inhaftiert, bis über den Asylantrag entschieden ist. Davon sind Kinder und Familien genauso betroffen wie Alleinreisende. Asylanträge sollen deutlich einfacher abgelehnt werden können, indem die Liste der sogenannten sicheren Drittstaaten erweitert wird. Selbst wenn Menschen in bestimmten Staaten gefährdet sind oder diese nur in Teilen als sicher gelten, können sie als »sichere Drittstaaten« deklariert werden. Es reicht aus, dass die asylsuchende Person auf irgendeine Weise mit dem Land in Verbindung gebracht wird, um eine Abschiebung ohne individuelle Prüfung in den »sicheren Drittstaat« zu veranlassen. Anstatt eine Lösung für die humanitäre Krise im Mittelmeer zu finden, erleben wir mit dem GEAS drastische Angriffe auf die Rechte und Lebensbedingungen von Geflüchteten.
In diesem Zusammenhang finden auf Bundesebene massive Angriffe auf die ohnehin schon prekären Sozialleistungen für Geflüchtete statt. Legitimiert werden diese Kürzungenn – mal wieder –, indem Geflüchtete gegen Nichtgeflüchtete ausgespielt werden. Dabei wird das bereits verminderte Existenzgeld für Geflüchtete (Asylbewerberleistungsgesetz, AsylbLG) weiter angegriffen. Wo, wie und für was das wenige Geld ausgegeben werden darf, sollen die Behörde bestimmen. Dazu wird bundesweit eine »Bezahlkarte« für Geflüchtete eingeführt. Alle, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, werden zur Nutzung eines solchen Zahlungsmittels verpflichtet. Davon betroffen sind auch Personen, die bereits über ein deutsches Bankkonto verfügen und schon seit vielen Jahren in Deutschland leben. Überweisungen, Einkäufe bei Händler:innen ohne VISA-Bezahlfunktion und Onlineeinkäufe sind mit der Bezahlkarte nicht möglich, und die Bargeldgrenze beträgt in manchen Kommunen gerade mal 50 Euro. Der Einkauf in Sozialkaufhäusern, im Kiosk oder die Zahlung der Anwaltsrechnung werden damit nahezu unmöglich. Technisch möglich sind weitere Eskalationsstufen der Kontrolle und Überwachung, indem die Bezahlaktivitäten kontrolliert, die Karte gesperrt oder bestimmte Händler:innen und Postleitzahlengebiete ausgeschlossen werden können.
Gleichzeitig wird von verschiedenen politischen Seiten offen die Bezahlkarte für Bürgergeld-Empfänger:innen gefordert. In mehreren Bundesländern laufen Anfragen bei Geschäften, ob sie eine Bürgergeld-Bezahlkarte als Zahlungsmittel akzeptieren würden. In einigen Orten, wo die Bezahlkarte bereits eingeführt wurde, haben Initiativen Tauschbörsen ins Leben gerufen. Das funktioniert so, dass Menschen mit ihrer Bezahlkarte Gutscheine in Supermärkten einkaufen, diese an die Tauschbörse übergeben und den äquivalenten Bargeldbetrag bekommen. An der Tauschbörse holen sich solidarische Menschen den Gutschein für den entsprechenden Geldbetrag in bar. Die Kampagne »Hamburg sagt nein zur Bezahlkarte« hat damit bereits gute Erfahrung gesammelt und eine Anleitung für Tauschbörsen initiiert. Neben dieser praktischen Lösung mobilisieren deutschlandweit zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen mit Demos und Aktionen gegen die Bezahlkarte. Das Freiburger Bündnis »Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen« hat bundesweit zu Solidaritätsaktionen aufgerufen und protestierte diesen Sommer mit mehreren Aktionen gegen die Bezahlkarte, die soziale Ausgrenzung und den Rassismus gegen Geflüchtete.
Ende Juli erreichten die Gesellschaft für Freiheitsrechte und Pro Asyl gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie vor dem Sozialgericht Hamburg einen Erfolg gegen die restriktiven Beschränkungen des Bargeldbetrags. Das Sozialgericht Hamburg entschied im Eilverfahren, dass die pauschale Festsetzung des Bargeldbetrages auf 50 Euro ohne Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen rechtswidrig ist.
Wir befinden uns mitten in einer wichtigen politischen Auseinandersetzung, in der marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden und sich das Sozialsystem national-autoritär entwickelt. Dabei zeigt sich das Asylbewerberleistungsgesetz als ein Versuchslabor für einen Umbau der Sozialsysteme mit dem Ziel, soziale Rechte für Geflüchtete und Nichtlohnarbeitende weiter zu beschneiden. Die Idee einer bedingungslosen Grundsicherung von Bildung, Wohnen, Gesundheit und Kultur fällt dabei einer neoliberalen Sparpolitik zum Opfer. Das müssen wir gemeinsam in einer außerparlamentarischen Bewegung verhindern. Deshalb müssen wir die noch verbliebenen Sozialsysteme verteidigen und vor allem neue, bedingungslose soziale Rechte erkämpfen.
Weitere Informationen:
asylbewerberleistungsgesetz-abschaffen.de