Noch ein Antifafilm?

geschrieben von Markus Roth

8. September 2024

Eine bemerkenswerte Doku erzählt Geschichten autonomer Antifas

Das Filmkollektiv Leftvision hat pünktlich zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland einen Dokumentarfilm zum autonomen Antifaschismus der 90er Jahre herausgebracht. Porträtiert werden fünf Personen, die rückblickend ihre damalige Praxis, die Risiken für Leib und Leben, die Militanz gegen Neonazis, die Repression des Staates gegen sie, die eigenen (analogen) Vorgehensweisen, die Erfolge und Begrenzungen dieser »Politik der Straße« diskutieren. Laura aus Ostberlin, die sich mit den Neonazis auch im Umland herumärgern musste; Navid, der in Göttingen dabei war als Conny Wessmann zu Tode kam; Kessy, die das Antifapressarchiv (apabiz) in Berlin mitaufgebaut hat; Torsten, der in Quedlinburg heute als Anwalt tätig ist und die wichtige Perspektive auf Antifa in nichturbanen Räumen mitliefert, und Nina, die in Hamburg bis heute aktiv ist und damals sehr viel auf Achse war, um auf dem Land zu intervenieren.

Ziemlich ungeniert dargestellte Gewalt

Alle werden zu ihren persönlichen Politisierungsmomenten befragt und geben tiefe Einblicke in Fragen der Organisierung von Kleingruppen sowie regionale und überregionale Vernetzungen. Zur Sprache kommen ganz praktische Dinge wie Recherchemethoden, Observationen von Neonazitreffen, gemeinsames Datensammeln, (Schutz-)Bewaffnung und kollektive Infrastruktur, die notwendig war für die politische Arbeit. Der Film ist hochinformativ für alle, die heute diese Praxen noch anwenden oder modernisiert haben, und lässt nichts aus. Etwas zu stark wird dabei antifaschistische Gegengewalt bzw. die notwendig eskalative Vorwärtsverteidigung problematisiert. Offenbar sollte hier ein Gegengewicht zur im Film ziemlich ungeniert dargestellten Gewalt angeboten werden. Die FSK-Einstufung ab 16 Jahren hing wohl damit zusammen.

Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte. Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer. 100 Minuten, FSK ab 16, 96 Minuten

Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte. Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer. 100 Minuten, FSK ab 16, 96 Minuten

Die Interviews sind mit Filmsequenzen von damals und heute kombiniert, wodurch Entwicklungen der antifaschistischen Bewegung, aber auch der gesellschaftliche Wandel in den 2000ern erkennbar werden. So richtig möchte der Film dennoch nicht erklären, warum es heute anders aussieht, warum nicht überall junge und alte Antifaschist*innen ähnlich agieren. Tatsächlich hat die Gewalt auf der Straße durch organisierte Neonazis nachgelassen, pogromartige Erhebungen wie 1992 in Rostock-Lichtenhagen zu initiieren wurde in Sachsen (Freital, Heidenau, Chemnitz) seit 2015 zwar wieder probiert, das verlief sich aber – auch dank der Antifa – wieder schnell. Gleichzeitig haben wir es heute mit einer viel instituionelleren extremen Rechten zu tun, die gerade nach der Macht greift und der mit den im Film vorgestellten Methoden allein nicht beizukommen ist. Ein Strategiewechsel der extremen Rechten ist offensichtlich, aber auch ein Strategiewechsel des Staates in der Repressions- und Kulturpolitik.

Deutlichere Analyse fehlt

Da der Staat schon in der Unterzeile des Filmtitels adressiert wird, hätte sich angeboten die Rolle des Staates bei der Bekämpfung, Duldung und Produktion rassistischer Gewalt in den 90er bis heute genauer zu analysieren. Dazu hätten die Protagonist*innen des Films sehr wahrscheinlich einiges sagen können. Erst in den Nullerjahren setzte sich bekanntlich die Meinung bis ins Kanzleramt (Schröder-Regierung) durch, dass Neonazigewalt ein Hemmschuh für den Standort ist und ausländische Fachkräfte wegblieben. Das hatte zur Folge, dass die Repression gegen die extreme Rechte hochgefahren wurde – wenn auch von manchen Behörden recht wiederwillig, und auch die Antifa sich mehr institutionalisierte. Was auf dem Weg ab Schröders »Aufstand der Anständigen« bis heute aus antifaschistischer Perspektive geschafft und was dabei verloren wurde, wäre nochmal eine eigene Dokumentation wert.

Auf weitere Auslassungen des Films wiesen Rezensionen in der Analyse & Kritik sowie bei Telepolis hin. So fehlen wichtige Perspektiven und Protagonist*innen der »Baseballschlägerjahre« (zum Beispiel migrantische Selbstorganisierung, spezifische Wendeerfahrungen, gesellschaftlicher Kontext). Hinzugefügt werden müsste mindestens auch, dass in dem Film nicht deutlich wird, dass der autonome Antifaschismus eben der Antifaschismus der autonomen Bewegungen war. Die waren damals sehr stark, selbstorganisiert, staatsunabhängig, militant und geerdet durch eine sehr breite nichtparlamentarische Linke, die Antifaschismus als ein Thema neben ganz vielen anderen bearbeitete. Zur Verzahnung der Politikfelder und Überlappungen der Bündnispartner*innen und auch der militanten Praktiken, hätten die Protagonist*innen des Films sicherlich auch einiges sagen können, was wiederum eine andere Dokumentation wert gewesen wäre.

Der Film motiviert dazu, die Erfahrungen mitzunehmen, sich mit der Erlebnisgeneration auseinanderzusetzen und die große Bandbreite der Aktions- und Vernetzungsformen auf heutige Eignung zu überprüfen. Leftvision hat es geschafft, einen Film über Dinge zu machen, über die normalerweise nicht geredet wird und was auch nie gefilmt wird. Anders als Produktionen wie das Antifadrama »Und morgen die ganze Welt« (2021) wird hier nicht mit dem Mythos Antifa gespielt, sondern richtige authentische Autonome reden über das, was wirklich gemacht wurde. Das hat einen ganz eigenen Wert.

Vorführungen sind bundesweit geplant. Alle Termine finden sich auf der Webseite antifa-film.de. Im Winter soll es den Film auch online on demand geben. Gewünscht ist, Vorführungen selbst zu organisieren.