Winter is coming
8. September 2024
Erfahrungen von linker Praxis unter rechter Macht
Im Herbst zeichnet sich die reale Gefahr ab, dass die AfD in ostdeutschen Bundesländern an die Hebel der Staatsmacht oder zumindest der Regionalmacht gelangt. Im August waren deshalb antifaschistische Aktivist*innen aus Polen, Ungarn, Österreich und Italien auf Rundreise, um in Ostdeutschland von ihren Erfahrungen mit rechten Regierungen zu berichten. Auf dem Tourplan standen Berlin, Cottbus, Jena und Leipzig.
Schlechtere Bedingungen für Fortschritt
Einig waren sich die Aktivist*innen darin, dass sich die Bedingungen für fortschrittliche Politik in ihren Ländern verschlechtert haben. Aus Ungarn wurde berichtet, dass die Fidez-Herrschaft seit 2010 nicht nur den Sicherheitsapparat und die Judikative umgekrempelt hat, sondern auch den Kultur- und Bildungssektor. Das hat länger gedauert, aber durch den permanenten Druck von oben sind viele unabhängige Zeitungen, die Hochschulen, das unabhängige Stiftungswesen und die Filmindustrie so zugerichtet, dass fast nur noch Fidez-Ideologie verbreitet wird.
Aus Polen wurde berichtet, wie durch das Umlenken staatlicher Kulturförderung Neonazigruppen von Außenseitern zu größeren Organisationen aufgebaut wurden. Zuerst wurden die unterschiedlichen Förderprogramme der Ministerien zentralisiert, um sie dann gezielter einsetzen zu können. So betrieb die Regierung eine regelrechte Kampagne gegen den »Frauenstreik«, durch massive Propaganda in den Medien, aber auch indem massiv Geld in Gruppen gepumpt wurde, die sich unter dem Motto »Verteidigt unsere Kirchen« vereinten. Dahinter standen Neonazis, die die »Frauenstreik«-Demos im ganzen Land unterwanderten und von innen heraus angriffen. Die so aufgebauten Gruppen fungieren als Ideengeber für die Regierung und als Verstärker repressiver Maßnahmen.
Staatliche Repression trifft politische Akteure immer dann, wenn sich Persönlichkeiten exponieren, oder größere Organisationen gebildet werden. Politische Bewegungen, die auf Ideen basieren und nicht hierarschisch organisiert sind, geraten weniger in den Fokus der Propaganda und der Verfolgung. Das macht es aber auch schwieriger, größer zu werden und trotz fehlender eigener Medien bekannter zu werden. Die sozialen Medien konnten diese Sichtbarkeitslücke füllen. So formierten sich während der Pandemie zahlreiche Gruppen, die hunderttausende Menschen umfassen und auf gegenseitiger Hilfe basieren. Neben dem Vernetzungspotential sind diese Gruppen mit dem Fokus auf materielle Bedürftigkeit der Beweis der staatlichen Unfähigkeit, die Daseinsvorsorge zu organisieren. Polen wie auch Ungarn setzen zur Finanzierung der eigenen Infrastruktur mittlerweile ebenfalls auf Onlinecrowdfunding. Tausende sind bereit, monatlich ein paar Euro zu geben, wenn sie dafür nicht auf Demos gehen oder gegen die staatliche Repression ankämpfen müssen.
In Österreich hat sich bereits bei der ersten FPÖ-Regierung in den 2000er Jahren, aber nun auch wieder seit 2018 eine wöchentliche Protestdemo in Wien als wichtiges Werkzeug der Opposition etabliert. Nicht als Protestort, sondern mehr als regelmäßige Zusammenkunft und Austauschort aller möglichen Spektren.
Aber es brauchte auch strategische Neuausrichtungen für Gegenmacht. Die gesellschaftlich abgenutzte Skandalisierbarkeit von Verbindungen der unterschiedlichen rechten Lager zum Rechtsterrorismus hat dazu geführt, dass sich die antifaschistischen Akteure anderen Themen zugewandt haben: Geflüchtetenhilfe, Verdrängung von Armut und Klimagerechtigkeit.
Kopie gescheitert
Die Polen konstatierten, dass es ein Fehler war, erfolgreiche antifaschistische Konzepte aus Deutschland, wie die Blockade von großen Neonaziaufmärschen, zu kopieren. Auch dass deutsche Antifas anreisten, war nicht hilfreich. Die polnischen Medien hatten leichtes Spiel, zu behaupten, die Deutschen kämen nun erneut, um den polnischen Patriotismus zu zerschlagen. Beim »Tag der Ehre« in Budapest wurde von rechts ähnliches versucht – wenn auch nicht so erfolgreich.
Zu verstehen, dass jedes Land eigene ideologisch-historisch gewachsene und staatlich geformte Erzählungen hat, gehört zu den Einsichten des letzten Jahrzehnts. Ein strikter linker Antinationalismus trifft auf eine tief gefühlte »Patriotic-Romantic«, die durch eine grundsätzliche Kritik an der deutsch dominierten EU verstärkt wird. Gleichzeitig hat die Linke nicht mehr anzubieten als einen extrem negativ bewerteten Sozialismus sowjetischer Prägung und die sozialistischen Regierungen danach, die sich durch strikte neoliberale Politik und Korruption unbeliebt machten. Aufzuhören, die Fehler der Vergangenheit zu rechtfertigen, wäre ein erster ehrlicher Schritt. Ein ernstzunehmender Antikapitalismus, der die globalen Zusammenhänge analysiert und europaweite Demonstrationen, Solidaritätsstreiks oder den Boykott bestimmter ausbeuterischer Praktiken betreibt, kann helfen, etwas Attraktiveres zu schaffen.
Das Fazit aus dem Besuch ist sicherlich, dass es sich in jedem Fall lohnt, genauer hinzuschauen und Gemeinsamkeiten zu suchen.