Lebendiger Gedenkort

geschrieben von Míša, Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V.

1. November 2024

Antifa-Erinnerungsarbeit am ehemaligen Jugendkonzentrationslager Uckermark

In Brandenburg bei Fürstenberg an der Havel liegt das ehemalige Jugendkonzentrationslager und der spätere Vernichtungsort Uckermark. In der Zeit zwischen 1942 und 1945 wurden dort Mädchen* und junge Frauen* inhaftiert, gefoltert, zur Zwangsarbeit gezwungen und ermordet. Am Ende des Krieges zwischen Januar und April 1945 haben die Nazis das KZ zu einem Vernichtungsort umfunktioniert. In dieser kurzen Zeit wurden hier mindestens 5.000 Menschen umgebracht.

Antifaschistische Selbstverwaltung

Heute befindet sich auf dem Gelände ein Gedenkort mit lebendiger und kritischer Erinnerungskultur, in der Diskriminierungskontinuitäten im Hier und Jetzt eine große Rolle spielen. Die antifaschistische Selbstverwaltung bildet eine wichtige Säule der gedenkpolitischen Arbeit am ehemaligen Jugendkonzentrationslager Uckermark. Doch es war nicht immer so. Noch in den 1990er-Jahren wuchs an dem Ort hohes Gras, und der Zugang wurde durch einen Zaun versperrt. Das Jugend-KZ Uckermark gehörte lange Zeit zu den vergessenen Lagern. Zum einen wurde das Konzentrationslager bis in die 1970er-Jahre verharmlosend als eine bloße Einrichtung der »Fürsorgeerziehung« betrachtet, zum anderen wurden viele der Gefangenen als sogenannte Asoziale verfolgt. Sie gehören zu der vergessenen Opfergruppe, die erst im Jahr 2020 eine staatliche Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes erfuhr. Viele von ihnen wurden nach dem Krieg weiterhin stigmatisiert und diskriminiert, viele trafen auch nach der Befreiung in Jugendhilfeeinrichtungen auf Täter*innen aus der NS-Zeit, viele konnten und wollten nicht erzählen. Die Gesellschaft sah in ihnen keine Betroffenen, sie wurden nach wie vor ausgegrenzt, diskriminiert und beschämt. Auch heute noch werden Menschen aufgrund von sozialer Herkunft diskriminiert.

Im Jahr 1997 fand auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers das erste antifaschistische Baucamp statt. Die Aktiven kamen damals aus den Kreisen der autonomen FrauenLesben-Bewegung und der Lagergemeinschaft Ravensbrück, heutzutage sind in der »Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V.« Antifaschist*innen bundesweit und teilweise auch international organisiert. Jährlich kommen neue Antifaschist*innen und Feminist*innen zu den antifaschistischen Bau- und Begegnungstagen und arbeiten daran, dass die Geschichte des Ortes sichtbar wird und bleibt. Was heißt das konkret?

Zentral für die Arbeit der Initiative und die Gestaltung der antifaschistischen Bau- und Begegnungstage ist die Perspektive der Betroffenen. Die Initiative sucht und pflegt einen engen Kontakt zu Überlebenden und deren Angehörigen und stellt ihre Perspektiven in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Somit wird die Arbeit am Gedenkort immer durch die Frage geprägt: »Was hätten sich Überlebende gewünscht«? Leider leben die meisten von ihnen nicht mehr. Desto mehr freuen wir uns darüber, dass der Sohn der Überlebenden Łucja Barwikowska, Marek, mit uns in einem engen Kontakt steht. Auch beim diesjährigen Baucamp im August haben uns Marek und seine Familie besucht, uns die Geschichte von Łucja erzählt und mit uns über aktuelle politische Herausforderungen diskutiert. Während der diesjährigen Bautage haben wir am Gedenkort eine kleine Gedenkfeier veranstaltet. Dabei standen die Erzählungen und Biografien der Überlebenden im Fokus. Nicht nur bei der Gedenkfeier beschäftigten wir uns intensiv mit ihren Geschichten. Wir haben viel gelesen und recherchiert. Neben der Verpflichtung, den Wünschen der Überlebenden gerecht zu werden, sehen wir unser Erinnern auch als Handwerks- und Schweißarbeit. Die Arbeit der Antifaschist*innen bei den Baucamps ist notwendig für die Instandhaltung des Ortes, dazu gehört Rasen mähen, Schilder und Bauelemente reparieren, Markierungen und Wegweiser auffrischen, und natürlich entstanden auch neue Ideen und Projekte: neue Schilder, neue Bauelemente, die die Topografie des Ortes markieren, eine Audiobox oder Öffentlichkeitsmaterial für Infoboxen.

Debatten bei Bau- und Begegnungstagen

Unter einem antifaschistischen Gedenken verstehen wir einen Bezug zur Gegenwart und zu Diskriminierungskontinuitäten sowie den Willen, diese durch antifaschistische Praxis zu bekämpfen. Die Zeit beim Baucamp prägten viele politische Debatten über den Kampf gegen rechts, aber auch darüber, wo Klassismus heute spürbar und vergessen wird. Wir haben gemeinsam am Klassismusworkshop teilgenommen und haben uns über unsere politische Praxis an unseren Wohnorten im Alltag unterhalten, es entstanden neue Freund*innenschaften und Vernetzungen.

Und nach dem Sommer? Die Initiative ist das ganze Jahr aktiv, veröffentlicht auch Beiträge und Stellungnahmen, sucht nach vergessenen Geschichten, gibt Workshops, organisiert Veranstaltungen und Rundgänge, vernetzt sich mit antifaschistischen Gruppen und versucht, Klassismus alltagsbezogen und konkret zu bekämpfen.

Míša, Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V.

Weitere Informationen zur Geschichte des Ortes und Arbeit der Initiative finden sich auf der Website gedenkort-kz-uckermark.de.

Weiterhin vergessene Opfer

Am 10. Oktober wurde in Berlin (Landesvertretung Rheinland-Pfalz) die Wanderausstellung »Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933 – 1945 – heute« eröffnet. Allerdings bleibt der 2020 ergangene Bundestagsbeschluss zur Anerkennung der im Faschismus als »Berufsverbrecher« (grüner Winkel) und »Asoziale« (schwarzer Winkel) Verfolgten folgenlos: Es wurden bisher keine Gelder für Forschung oder für ein Mahnmal freigegeben. Der Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus (vevon) macht sich dafür stark, dass sich dies ändert.            (red)
Infos: die-verleugneten.de