Zerstörtes wieder aufbauen
1. November 2024
Friedenstagung mit Aktivistinnen von unterschiedlichen Kontinenten. Ein Gespräch mit Celia
antifa: Ihr habt die »Frauenkonferenz für den Frieden – Selbstbestimmung und Selbstorganisierung im Dritten Weltkrieg« Anfang Oktober in Berlin veranstaltet. Wer war da, und was sind die Ergebnisse?
Celia: Für die Vorträge, Podiumsdiskussionen und Workshops wurden Aktivistinnen aus dem Sudan, Palästina, Kurdistan, Belutschistan, den Philippinen und Abya Yala1 eingeladen. Das Publikum bestand aus etwa 250 Frauen und FLINTA2, die aus den verschiedensten Regionen Deutschlands und der Welt angereist sind. Altersmäßig bunt durchmischt und auch aus verschiedenen politischen Kontexten kommend, trafen hier viele Perspektiven zusammen.
Das Ziel der Konferenz war es, einen ersten Schritt in Richtung einer neuen, internationalistischen Friedensbewegung zu gehen. Dafür brauchen wir ein gemeinsames Verständnis der aktuellen globalen Lage. Es ist wichtig, dass mehr und mehr Menschen, insbesondere Frauen, verstehen, dass die aktuellen Kriege im Sudan, in Tigray, in Palästina, in Kurdistan und in der Ukraine sowie die antidemokratischen Entwicklungen Teil eines Phänomens sind, das wir als Dritten Weltkrieg bezeichnen und in dem immer größere Eskala-tionsstufen drohen. Der extreme Anstieg an Femiziden und patriarchaler Gewalt, an Umweltkatastrophen, an Repressionen, an Fluchtbewegungen und an Militarisierung sind nur einige Auswirkungen davon.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Widerstand von Frauen im Krieg. Dadurch, dass Kriege ein Ausdruck patriarchaler Gewalt sind und Frauen immer ganz besonders von der Gewalt betroffen sein werden, müssen wir die Perspektive der Frauen und ihre Kraft stärken. Ein gerechter Frieden ist nur mit der Überwindung des Patriarchats und der Durchsetzung der Frauenbefreiung möglich.
antifa: Die Konferenz reiht sich ein in einen kontinuierlichen Prozess einer weltweiten Organisierung in Richtung Weltfrauenkonföderalismus. Was versteht ihr unter dem Demokratischen Konföderalismus, und was waren die bisherigen Schritte dahin?
Celia: Der Demokratische Konföderalismus ist ein Modell für ein gesellschaftliches Zusammenleben, das sich auf den drei Grundpfeilern Ökologie, Demokratie und Frauenbefreiung aufbaut und von Abdullah Öcalan aus der Analyse der kurdischen Gesellschaft und der Lage des Mittleren Ostens stammt. Das heißt, dass in einer solchen Gesellschaft die Befreiung der Frau angestrebt wird und ihre besondere Rolle für das Wachsen einer friedlichen und gerechten Gesellschaft zentriert wird. Technischer Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung sollten immer unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte passieren und so ein Zusammenleben mit der Natur sichern. Alle Entscheidungen sollten gesellschaftlich, basisdemokratisch und mithilfe konföderaler Rätestrukturen getroffen werden. Rojava, das autonom verwaltete Gebiet in Nord- und Ostsyrien, ist ein Beispiel in Echtzeit, wo entgegen dem Krieg von außen versucht wird, ein demokratisch-konföderales System aufzubauen.
Die 1. Weltfrauenkonferenz 2018 in Frankfurt am Main und die 2. Weltfrauenkonferenz 2022 in Berlin sind Teil des Weges, weltweit demokratisch-konföderale Strukturen aufzubauen und ganz besonders unter Führung der Frauen einen Wandel der Gesellschaft anzustoßen. Es geht gerade nicht darum, die Macht im Staat zu erlangen, sondern eine Organisierung parallel zum Staat zu entwickeln, die auf den Prinzipien der Konföderation beruhen. In der Abschlusserklärung von 2022 wird dazu aufgerufen, nicht auf einen Wandel zu warten, sondern dafür zu kämpfen. Auch die Friedenstagung stand im Zeichen des Weltfrauenkonföderalismus und der Organisierung dazu. Um zu einer Kraft zu werden, ist es wichtig, sich zusammen zu schließen und sich für die gleichen Ideen einzusetzen. Wir müssen ja die vom Krieg zerstörten Regionen wieder aufbauen und Mentalitäten der Krieges überwinden.
antifa: Die VVN-BdA ist ein Verband, der stark auf die Widerstandsgeschichte gegen den Faschismus orientiert. Geschichte von Widerstand spielt auch bei euch eine große Rolle. Welche Methoden zur Wissensaneignung und Verbreitung nutzt ihr?
Celia: Die Tagung zeigte einmal mehr, dass der wichtigste Schritt zur Wissensaneignung das Zusammenkommen und Diskutieren ist mit Menschen aus aller Welt und aus allen Lagen. Um klare Analysen der Geschichte zu machen, müssen wir von jenen lernen, die die Geschichte ihrer Völker und Kulturen mit sich tragen. Wir verstehen Wissenschaft nicht nur als etwas, das in Büchern und Universitäten passiert, sondern auch dort wo Geschichte passiert. Da, wo die Auswirkungen von Krieg und Gewalt aber auch Frieden zu spüren sind, ist ein Lernen aus diesen Erfahrungen möglich. Mit diesen Perspektiven, Erzählungen und Haltungen können wir Geschichte analysieren und Zukunft gestalten.
Organisiert wurde die Konferenz von Cenî, dem Kurdischen Frauenbüro für Frieden e. V., der Kampagne »Women Defend Rojava«, KJAR (Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans), der feministischen Organisation »Gemeinsam Kämpfen« und der Jungen Frauenkommune, zu der auch Celia gehört.
Ein längeres Interview zur Konferenz ist auf Youtube auf youtube.com/@ciratv erschienen. Mehr zur Konferenz ist auf ceni-frauen.org zu finden
1 Abya Yala ist der indigene Begriff für den amerikanischen Kontinent und bedeutet »Land in voller Reife«. Er ist ein politischer Begriff und vermittelt dekoloniale Kämpfe.
2 FLINTA ist die Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen.
Zum Weiterlesen:
Abdullah Öcalan: Demokratischer Konföderalismus. Seitenhieb-Verlag, 2019, 50 Seiten, 2 Euro
Kontakt: friedensfrauen@gmail.com
Das Gespräch führte Nils Becker.