Bella Ciao
4. Januar 2025
Eine antifaschistische Bildungswoche mit dem Fahrrad auf Spurensuche in Italien
Ende August 2024 machte sich eine 13-köpfige Radelgruppe aus Berlin, Bielefeld, Hamburg und Köln auf den Weg nach Südtirol/Alto Adige und Nord-italien, um sich intensiv mit dem historischen Faschismus, seinen Grundlagen und Auswirkungen sowie dem antifaschistischen Widerstand in der Region zu beschäftigen. Veranstalter der als Bildungsurlaub anerkannten Reise war »Arbeit und Leben Herford«, Kooperationspartner waren die regionalen ANPI-Organisationen (Associazione Nazionale Partigiani d’Italia, deutsch: Nationale Vereinigung der Partisanen Italiens) aus Berlin, Bolzano, Trento und Verona. Insbesondere Chiara Zandonella aus Verona/Berlin trug durch ihre Übersetzungsarbeiten im Vorfeld maßgeblich zum Gelingen der eindrücklichen Reise bei.
Durchs Eisacktal nach Bozen
Nach dem Auftakt in Brixen ging es am zweiten Tag mit dem Rad durch das Eisacktal nach Bozen. Hier empfingen uns der Historiker und ehemalige Stadtarchivar Hannes Obermair und der Präsident der ANPI Bolzano, Guido Margheri, im Museum des Siegesdenkmals. In diesem Monumentalbau, der wie viele andere Gebäude in Bozen auch von der Architektur her den faschistischen Machtanspruch demonstrieren sollte, ist es den Bozener Historiker*innen gelungen, die komplizierte Geschichte des italienischen sowie des deutschen Faschismus in der Region Südtirol abzubilden. Hannes Obermair erläuterte die Italienisierungspolitik der 1920er- und 1930er-Jahre, die der deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit ihre politischen, kulturellen und sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten nahm und einer rigiden Repression unterzog. Widerstand gab es nur vereinzelt, zumeist aus eher katholisch geprägten Kreisen.
Die große Mehrheit der deutschsprachigen Südtiroler*innen verhielt sich passiv und hoffte auf die Befreiung durch die deutschen Nazis! Von einer grundsätzlichen antifaschistischen Gesinnung kann nur in Einzelfällen gesprochen werden. Zum Teil dürfte das bei den Mitgliedern des »Andreas-Hofer-Bundes« so gewesen sein. Nach dem Abkommen zwischen Hitler und Mussolini, das festlegte, dass Südtirol nicht »Heim ins Reich« geholt würde – darauf gründeten sich die Erwartungen vieler Südtiroler*innen –, mussten sich die Menschen entscheiden: vollständige Italienisierung oder Auswanderung in das Deutsche Reich. Die übergroße Mehrheit der meist bäuerlich geprägten Gesellschaft wählte die Option der (nicht vollständig vollzogenen) Auswanderung unter Zurücklassung von Hab und Gut. Die sogenannten Dableiber waren, insbesondere nach der Besetzung Südtirols durch das Deutsche Reich ab September 1943, weiteren Repressionen durch die deutschen Machthaber und örtliche Nazifunktionäre ausgesetzt. Viele wurden in Gefängnissen und Lagern in Bozen und anderen Orten inhaftiert, gefoltert, ermordet oder in KZ (beispielsweise Mauthausen, Auschwitz, Flossenbürg, Ravensbrück) deportiert.
Von Bozen via Tramin nach Trient
Von Bozen aus ging es auf dem Drahtesel via Tramin nach Trient. Die örtliche ANPI lud uns in das beeindruckende Gebäude des Arbeiter-Alpen-Vereins ein. Auf dem Programm stand der italienische Dokumentarfilm »Pfade in die Freiheit«, der einen starken Eindruck vom Beginn der italienischen Resistenza ab dem Sommer 1943 vermittelt. Der Bielefelder Soziologe Hermann Bueren referierte über Entstehung, Bedingungen, Ziele und Aktionsformen des italienischen Widerstands. Den folgenden Tag prägte eine lange Radtour nach Verona durch die wunderbare Landschaft des unteren Etschtals.
In Verona erlebten wir einen herzlichen Empfang durch Andrea Castagna und andere Repräsentanten der ANPI sowie des Storia della Resistenza Veronese. Wir machten eine Antifastadtführung an Orte des deutschen Terrorapparates. Verona war das eigentliche Machtzentrum der deutschen Besatzungszeit, auch wenn die formale Regierungsgewalt bei der sogenannten Repubblica Sociale Italiana (bekannt als Republik von Salò) lag, und zu Orten des Widerstandes. Vorträge zur Entstehung des Faschismus in Italien, in herausragender Übersetzung durch einen Lehrer für Deutsch, Geschichte und Philosophie aus Padova, und eine lebhafte Debatte zur aktuellen politischen Situation unter der Rechtsregierung von -Giorgia Meloni waren Teil des intensiven Aufenthaltes in Verona. Immer wieder betonten unsere Partner*innen die europäische Dimension des Erstarkens von rechten und neofaschistischen Bewegungen in Europa und damit die Notwendigkeit einer europäischen Kooperation für die Werte des Antifaschismus: Frieden, Antirassismus, soziale Gerechtigkeit, Hilfe für Geflüchtete und – dies war den italienischen Partner*innen vor dem Hintergrund aktueller Debatten in Italien besonders wichtig – die Wahrung der konstitutionellen Ordnung. Die italienische Verfassung gilt unter den europäischen Verfassungen als eine der antifaschistischsten. Bei einem Abendessen in einem Veroneser Ristorante fand die antifaschistische Bildungswoche einen herzlichen Ausklang.