Die eigentlichen 1945er
4. Januar 2025
Eine Tagung zur frühen Geschichte der VVN
Vor 20 Jahren arbeitete außer einigen Menschen in unserem eigenen Verband – allen voran natürlich Dr. Ulrich Schneider – niemand daran, die Geschichte unseres Verbandes zu erforschen. Auch die Lage unserer Archive war desolat. Das war zunächst Ausdruck unserer organisatorischen Schwäche, denn immer gab es Wichtigeres zu tun, als alte Papiere zu sortieren und zu erschließen. Zum anderen konnte man sich das in gewissem Sinne »leisten«, hatte man doch oft noch Zeitzeug*innen, die man gegebenenfalls schlicht fragen konnte. Ihr weitgehendes Ausscheiden gab wohl den letzten Impuls dazu, dass innerhalb der VVN-BdA und zwar unabhängig voneinander, zum Teil erstmalig vorhandene Unterlagen bearbeitet wurden.
Eine tragende Rolle spielten und spielen dabei häufig Mitglieder mit Familienbezug, aber auch engagierte und fachspezifisch ausgebildete jüngere Mitglieder. Gleichzeitig zu diesen internen Bemühungen setzte ein nach außen wenig sichtbarer Trend in der Geschichtswissenschaft ein. Nachwirkungen des NS-Regimes zu untersuchen und dabei nicht mehr nur Individuen, sondern auch organisatorische Zusammenhänge in den Blick zu nehmen – häufig mit internationalem Vergleich – wurde zu einem kleinen Trend, was nicht despektierlich gemeint ist. Unsere in den späten 1940er-/frühen 1950er-Jahren aktiven Kamerad*innen sind Teil der Zeitgeschichte geworden. Ihre geschichtswissenschaftliche Untersuchung ist deshalb naheliegend, ehrend und gut für uns.
Es ist daher nicht völlig überraschend, dass am 20./21. November 2024 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main erstmals ein wissenschaftlicher Workshop zur Frühgeschichte der VVN stattfand – unter dem Titel »NS-Verfolgte zwischen Befreiung und Verdrängung. Die Holocaust-Überlebenden und politisch Verfolgten in West- und Ostdeutschland von 1945 bis 1953«. Die Tagung wurde von Dr. Katharina Stengel vom Fritz-Bauer-Institut organisiert.
So fanden sich gut 20 Menschen zusammen, die alle erholsamerweise von »der VVN« sprachen und nicht von »dem VVN«. Jede*r verfügte mindestens beim jeweiligen Spezialthema über großes Wissen zu wichtigen uns betreffenden Dokumenten und Fragen. Mag der Untersuchungszeitraum auch nur kurz erscheinen, ereignete sich doch so viel in ihm, was die Geschichte des Verbandes betrifft, dass nur Ausschnitte behandelt werden konnten. Stengel machte im einleitenden Übersichtsvortrag unter anderem deutlich, wie groß die Erwartungen und Hoffnungen bei den Überlebenden auf grundlegende Veränderungen waren, in die ihre Erfahrungen aus Widerstand und Verfolgung einfließen sollten, und wie früh die Enttäuschung bei den aus den KZs und Gefängnissen Zurückgekehrten einsetzte. Noch bevor die Ost-West-Konfrontation voll durchschlug und den Druck auf die VVN-Gliederungen in beiden Teilen Deutschlands massiv verstärkte, verpuffte die Euphorie der befreiten Deutschen am Desinteresse, der Missgunst und der Verweigerung der besiegten Deutschen. Insbesondere in den Behörden, aber auch in den gerade sich formierenden Parteien störten die KZler, zumindest sobald diese mit ihren entsetzlichen Erfahrungen anfingen. Sie machten dabei sowohl in der SBZ als auch in den Westzonen ganz ähnliche Erfahrungen, trotz der völlig unterschiedlichen Entwicklungen.
Im Ergebnis waren die Verfolgten bereits 1946 auf sich selbst zurückgeworfen. Damit wurde die Formierung eines Verbandes, in dem man sich nicht rechtfertigen musste, erstrebenswert. Mit riesiger Energie setzte sich die VVN als Massenverband für die Interessen und Nöte seiner Mitglieder, weitergehende Entnazifizierung und Strafverfolgung der NS-Täter sowie die Aufklärung der postfaschistischen Mehrheitsgesellschaft ein.
In einem Einleitungsvortrag und acht Einzelbeiträgen (wovon zwei leider ausfallen mussten) wurde anschließend anhand besonders wichtiger Personen aus der VVN der Prozess der Verdrängung aus wichtigen gesellschaftlichen Positionen in Westdeutschland herausgearbeitet. Die bis heute wirksame Vorstellung, die Bundesrepublik habe nach 1945 nun mal leider kein anderes Personal als NS-belastetes zur Verfügung gehabt, wurde widerlegt. Es war eine bewusste Entscheidung der Adenauer-Administration, die sich bis in die untersten Ebenen des westdeutschen Staates durchsetzte, einerseits Antifaschist*innen beruflich abzuservieren (Adenauer-Erlass von 1950) und gleichzeitig belastete Beamte aufs Pferd zu ziehen (Wiedereinstellung nach Art. 131 GG). Damit war eine Entscheidung gefallen, die weitreichende Folgen für den neuen Staat haben sollte.
Themen der Tagung
– Katharina Stengel: Zwischen Selbsthilfe, antifaschistischem Kampf und Kaltem Krieg
– Gerd Kühling: Hans Freund und die Verbände der NS-Verfolgten in Berlin
– Corinna Bittner: Erinnerungsbeziehungen zwischen Überlebenden der Emslandlager 1945–1955
– Henning Fischer: Martha und Harry Naujoks und die Verfolgungserfahrung von Moskau und Sachsenhausen
– Markus Wegewitz: Eine Interven-tion der Überlebenden des KZ Dachau für die Errichtung einer Gedenkstätte
– Maximilian Becker: »Frieden« und »Antifaschismus« – die FIAPP 1946–1951
– Dominik Rigoll: Die zweifach ausgegrenzte Linke
Detailliertes Programm der Tagung:
fritz-bauer-institut.de/
veranstaltungen/veranstaltung/
ns-verfolgte-zwischen-befreiung-und-verdraengung