Mit wachen Augen
4. Januar 2025
Eine Graphic-Novel-Biografie über den Antifaschisten Ernst Grube
Das kürzlich erschienene großformatige Buch bringt inklusive seines massiven Covers über drei Pfund auf die Waage. Eine Graphic Novel mit Bildern und Texten der Künstlerin und Autorin Hannah Brinkmann. Wer das Buch aufschlägt, dem begegnen Seite für Seite Zeichnungen von Menschen, die mittels Sprechblasen kommunizieren. Ein Comic also – von beachtlicher Größe. Auf der Titelseite das Porträt des Gewürdigten: der Kopf eines älteren Herren mit silberweißem Haar, der uns mit hellem Gesicht und wachen Augen anblickt. Dahinter vollzieht sich einiges in blauschwarzem Titelbilddunkel, das zum Teil wohl erst nach Betrachten und Lektüre des gesamten Buches leichter zu entschlüsseln sein wird.
Marschierende Soldaten mit Stahlhelmen sind zu erkennen, Silhouetten von Militärflugzeugen und diverse verschlungene Ranken, die Assoziationen an Pflanzliches, aber auch an menschliches Organ-innenleben auslösen. Wer das Buch umdreht, findet in der unteren Hälfte des Rücktitels noch einmal ein Bild einer Soldatenansammlung, dieses Mal in braun-oliv gefärbter Montur. Und einen zivil gekleideten jungen Mann, der mit Schrecken im Gesicht der stahlbehelmten Schar gegenübersteht.
Nun ist ja der hier Gewürdigte in historisch und antifaschistisch interessierten Kreisen heute kein Unbekannter. »Ein Mahner, der anspornt« war die antifa-Porträtseite zu dessen »rundem« Geburtstag 2022 (siehe Januar-/Februarausgabe 2023) betitelt – mit dem Zusatz »Ernst Grube: Auch mit 90 Jahren noch kritischer Zeitzeuge«. Nun, zwei Jahre später (am 12. Dezember 2024 wurde er 92), ist dem immer noch so. Dazugekommen ist aber jetzt – ergänzend zu vielen öffentlichen Würdigungen wie etwa der Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt München und dem Bundesverdienstkreuz für den nach wie vor als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und in anderen Gedenk- und Erinnerungsgremien Aktiven – diese Veröffentlichung über sein Leben und das seiner Angehörigen.
Öffentlich vorgestellt wurde das Werk in Anwesenheit von Hannah Brinkmann und des von ihr Porträtierten im November 2024 einem zahlreich erschienenen Publikum im Münchner NS-Dokuzentrum. Dieses Museums-, Dokumentations-, Informations-, Lern- und Lehrzentrum ist im Buch ausdrücklich als Mitherausgeber aufgeführt. Schon bei jener ersten Präsentation erfuhren manche der Anwesenden, die meinten, dank ihrer Bekanntschaft mit Ernst Grube über die Verfolgungen, denen dieser, seine Eltern und seine Geschwister in der NS-Zeit ausgesetzt waren, ausführlich Bescheid zu wissen, viel Ergänzendes. Hervorgegangen aus den Recherchen der Autorin und den Mitteilungen ihres Gesprächspartners zum Umgang der Nazis mit jüdischen und »halbjüdischen« Menschen in der Nazi-»Hauptstadt der Bewegung« München und andernorts ist mit dem Buch eine beachtliche Informationsvielfalt entstanden.
Wie gingen die Nazis an der Macht, aber auch viele »normale« Bürger in der damaligen Zeit, um mit den wegen ihrer Herkunft Stigmatisierten und aus der Zivilgesellschaft »Ausgesonderten«. Was geschah mit jenen, die gezwungen waren, den »Judenstern« auf ihrer Kleidung im öffentlichen Alltag zu tragen? Wo durften sie sich – Erwachsene wie Kinder – überhaupt noch aufhalten? Wo überall war ihnen sofort der Zutritt verwehrt?
Von all dem war die Familie Grube mit jüdischer Mutter, nichtjüdischem Vater und drei Kindern besonders betroffen. Die Tochter Ruth, als die massiven Verfolgungen einsetzen gerade auf die Welt gekommen, die zwei heranwachsenden Söhne Werner und Ernst, die zwangsweise erfolgte Familientrennung. Dann das jüdische Kinderheim in der Münchner Antonienstraße und letztlich die Deportation von Mutter und Kindern nach Theresienstadt. Dort schließlich die Befreiung durch die Rote Armee.
Ausführlich geschildert wird das Interesse junger Überlebender wie Ernst Grube an antifaschistischen, linken, sozialistischen, gewerkschaftlichen und kommunistischen Initiativen in den Nachkriegsjahren. Solcherart Engagement war in der BRD bald, beginnend mit den 1950er-Jahren und manchmal bis heute, von politisch und oft auch juristisch tonangebenden Kräften nicht mehr erwünscht. Beispielhaft werden deshalb hier Ernst Grubes politische Nachkriegsjahre dargestellt. Inklusive Verhaftungen, Prozessen, Berufsverbotsdrohungen in seiner Zeit als Berufsschullehrer und Nennungen in »Linksextremismus«-Vorwürfen gegen die VVN-BdA in bayerischen VS-Berichten.
Die Graphic Novel ist aufgeteilt in drei Kapitel, das erste betitelt mit den Worten »Die Kindheit überleben«, das zweite »Eine deutsche Karriere« und das dritte und letzte »Der lange Prozess«, das Grube schließlich resümieren lässt, dass die Zeit keine Wunden heile. Im zweiten Kapitel von der »deutschen Karriere« wird der Lebenslauf eines Juristen behandelt, der sich während der NS-Zeit als Staatsanwalt nach oben »gearbeitet« hat, was ihn nach dem Krieg in einem ersten Verfahren zum bloßen »Mitläufer«, in einem abschließenden dann sogar zu einem »Entlasteten« gemacht hat. Fazit: Er brachte es schließlich in der BRD zum Bundesrichter, der 1958 Ernst Grube wegen des Verteilens von Flugblättern gegen das KPD-Verbot zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt hat.
Buch überzeugt durch stimmiges grafisches Konzept
Beim »Karriere«-Kapitel und später bei der Darstellung des Prozesses in der BRD ist die Künstlerin vom Vierfarbigen abgewichen und hat ihre Bilder einfarbig braun unterlegt. Eine kleine Orientierungshilfe bei der Lektüre, die, wie vieles in diesem Buch, weiter neugierig macht.