Neue Faschismusepoche?
4. Januar 2025
Über Unterschiede zwischen damals und heute
Die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat den globalen Trend zu autoritärer Formierung und Militarisierung, zu Umwelt- und Klimakatastrophe zementiert. Um zu beschreiben, was sich gegenwärtig vollzieht und der Menschheit in naher Zukunft wohl bevorsteht, benutzen immer mehr Menschen den Faschismusbegriff. Dabei sollten jedoch einige grundlegende Unterschiede zwischen der »Epoche des Faschismus« (Ernst Nolte) 1918–1945 und unserer Zeit im Auge behalten werden.
So fällt gleich auf: Heutzutage abwesend ist eine expandierende, selbstbewusste, organisierte, in proletarischen Massenbewegungen verankerte Linke, wie sie in der Zeit zwischen den Weltkriegen die Überwindung des Kapitalismus anstrebte. Die Linke vollständig und dauerhaft zu vernichten, und zwar sowohl ihren reformistischen als auch den revolutionären Flügel, war eins der Hauptanliegen der historischen Faschisten. Dies war ein zentraler Programmpunkt, der sie für großbürgerliche und adlige, militärische und bürokratische Herrschaftsgruppen als Bündnispartner interessant machte.
Da die Linke heute nun weitgehend ausfällt, besteht auch kein Bedarf mehr an massenhaftem paramilitärischem und staatlichem Terror wie damals. Die autoritäre, »illiberale« (Viktor Orbán) Aushöhlung und Umformung der bürgerlichen Demokratie reicht in der jetzigen, weder nachrevolutionären noch vorrevolutionären Situation schon aus.
Ein zweiter zentraler Programmpunkt der historischen Faschismen war die totale Mobilisierung und Formierung der Nation für den modernen, industriellen Krieg. Der Faschismus als Massenbewegung, sein Führungspersonal und aktivistischer Kern – sie entstiegen buchstäblich den Schützengräben der Jahrhundertkatastrophe namens Erster Weltkrieg. Es ging den Faschisten darum, optimal vorbereitet in den nächsten großen Krieg zu ziehen und ihn zu gewinnen. Am stärksten wurde der Faschismus in den Ländern, die den Ersten Weltkrieg verloren hatten (Deutschland, Österreich, Ungarn) und in den Ländern, deren Nationalisten sich um den Sieg betrogen fühlten (Italien, Rumänien).
In scharfem Gegensatz dazu kommen die meisten europäischen Länder heute aus einer langen Friedenszeit. Die neue Blockkonfrontation und das neue Wettrüsten haben erst begonnen. Die neuen großen Kriege werfen erst drohend ihre Schatten voraus. So fehlt bislang auch die durchgreifende Militarisierung der ganzen Gesellschaft und insbesondere einer ganzen Männergeneration, die die Zwischenkriegszeit prägte und den Faschismus mit seinen paramilitärischen Massenorganisationen erst ermöglichte.
Weitere Epochenunterschiede ließen sich zeigen: Zumindest in den Industrieländern wurden traditionelle Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit, auf denen auch die Faschismen basierten, in den letzten Jahrzehnten teilweise aufgeweicht und geschwächt. Viele Gesellschaften Europas sind heute zudem ethnisch, kulturell und religiös viel diverser als vor dem Zweiten Weltkrieg. In dieser modernen Realität erscheinen rassistische und völkische Lehren als immer schwerer umsetzbar, weswegen ihre Verfechter*innen immer häufiger defensive und separatistische Strategien entwickeln.
Der Aufstieg der historischen Faschismen ist ohne die sozial-ökonomische Nachkriegskrise ab 1918 und ohne die Weltwirtschaftskrise ab 1929 nicht zu verstehen. Elend und Hunger betrafen breite proletarische und kleinbürgerliche Bevölkerungsschichten. Heute hingegen werden die materiellen Grundbedürfnisse eines sehr großen Teils der Bevölkerung viel besser befriedigt, zumindest bislang.
Alles zusammengenommen mag erklären, warum sowohl Faschismus als auch Antifaschismus deutlich weniger Masse mobilisieren als damals, warum die Härte und Intensität der politischen Auseinandersetzung allgemein geringer erscheint und bei weitem nicht so viel Gewalt im Spiel ist.
Ein grundlegender Epochenunterschied kam hier noch nicht zur Sprache: Umweltzerstörung und Erderwärmung machen es wahrscheinlich, dass gesellschaftlicher Reichtum und Produktivität, damit auch ganz allgemein politische Verteilungs- und Gestaltungsspielräume mittel- und langfristig stark schrumpfen werden, statt weiter zu wachsen wie bisher. Tendenzen zu terroristisch-militärischer Abzäunung der Wohlstandsinseln, Kriegen um Ressourcen, autoritärer Elends- und Krisenverwaltung werden wohl zunehmen und könnten auch faschistische Formen annehmen.
Mathias Wörsching betreibt die Internetseite faschismustheorie.de, ist Autor des Buches »Faschismustheorien. Überblick und Einführung« (Reihe: theorie.org, 2020) und hat mit Dr. Alexander Häusler (Düsseldorf) den Artikel: »Faschismus: Begriff, Geschichte, Forschung« für das »Handbuch Rechtsextremismus« geschrieben (online im Frühjahr 2024 veröffentlicht: kurzlinks.de/ko7c).