Wie Krieg funktioniert
4. Januar 2025
Bericht vom Kongress der Informationsstelle Militarisierung
Am 16. November 2024 eröffnete Tobias Pflüger das inhaltliche Kongressprogramm. Er kritisierte die »Zeitenwende« als Vorwand für bereits geplante Aufrüstungsmaßnahmen und betonte, dass es nicht nur um Verteidigung, sondern auch um die Schaffung einer flexiblen, kriegführungsfähigen Bundeswehr gehe. Christoph Marischka sprach über die mentale und kulturelle »Zeitenwende«, die seit dem Ukraine-Krieg zu einer aggressiveren Haltung Deutschlands in internationalen Konflikten führe. Er kritisierte den Diskurs, der auf Dehumanisierung und Polarisierung setze, und wies auf die Propaganda hin, die die Bevölkerung gegen »Kriegsmüdigkeit« mobilisieren solle.
Im Panel »Gewalt, Politik und Jugend« diskutierten Barbara Stauber und Jacqueline Andres die Konstruktion von Binaritäten wie Freund/Feind und Mann/Nichtmann, die im Krieg und in der Militärwerbung eine zentrale Rolle spielen. Stauber stellte fest, dass Kriege Differenzen zuspitzen und wechselseitige Angewiesenheit ausblenden, während Andres auf die Rekrutierung der Bundeswehr über soziale Medien einging. Stauber wies auf die Bedeutung von Freiräumen und die Anerkennung des Schmerzes der anderen hin.
Ein Videointerview mit Udo Bongartz beleuchtete die Remilitarisierung Lettlands, insbesondere die Wiedereinführung des Wehrkundeunterrichts an Schulen, der 2018 zunächst als Pilotprojekt anlief und seit 2023 verpflichtend ist. In Lettland wird Patriotismus in Verbindung mit militärischen Übungen gelehrt, und die Gesellschaft ist stark von der Angst vor einem russischen Einmarsch geprägt.
Im Panel »Schulen als Rekrutierungspool« beschrieb Martin Kirsch ebenfalls als Videobeitrag die wachsenden Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr, die ihre Truppe von 180.000 auf 203.000 Soldat*innen ausweiten möchte. Reza Schwarz erläuterte die historische Entwicklung der Militarisierung der Bildung und die zunehmende Verstrickung von Schulen und Bundeswehr. Ein Tübinger Schüler berichtete von seiner Beobachtung, wie die Bundeswehr mit oft unseriösen Methoden versucht, Jugendliche für den Dienst zu gewinnen.
Das Thema »Kämpfe um Wissenschaft und Zivilklauseln« stand im vierten Panel auf der Agenda. Mark Ellmann stellte das »Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern« vor, das den Zugang des deutschen Heeres zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen erleichtert. Sophie Voigtmann und Matthias Rude berichteten von der ideologischen Aufrüstung an der Universität Tübingen und kritisierten die Repression gegen das Unikomitee für Palästina. Senta Pineau zeichnete die Geschichte der Zivilklausel-Kämpfe nach und sah in der Zivilklausel ein wichtiges Instrument gegen neoliberale Tendenzen in der Hochschulpolitik.
Das Thema »Interventionen aus Forschung und Wissenschaft« wurde von Jens Hälterlein und Hannes Jung vertieft. Hälterlein sprach über die ethischen Fragen rund um autonome Waffensysteme und die »bedeutsame menschliche Kontrolle« dieser Systeme. Jung berichtete über den Ausschluss Russlands aus dem CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) nach Beginn des Ukraine-Kriegs und die anhaltende Unterstützung Israels durch internationale Forschungseinrichtungen trotz seiner völkerrechtswidrigen Handlungen.
Im Panel »Wege aus der Eskalationsspirale« ging Jürgen Wagner auf die gescheiterten Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt ein. Russland habe mehrfach angeboten, die Gespräche fortzusetzen, doch westlicher Druck habe eine Einigung verhindert. Marius Pletsch skizzierte die Perspektiven für künftige Rüstungskontrollvereinbarungen und betonte, dass Rüstungskontrolle gerade in Krisenzeiten besonders wichtig sei. Er kündigte eine neue Kampagne gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland an.
Claudia Haydt sprach über staatliche Repressionen, durch die die Meinungsfreiheit und der Protest gegen Militarismus eingeschränkt werden. Sie machte auf die zunehmenden Formen von staatlicher Willkür aufmerksam, wie Präventivhaft, Polizeigewalt und politische Exmatrikulation. Sie ermutigte die Friedensbewegung, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Ihr Appell richtete sich darauf, Solidarität zu stärken und die Menschenrechte auf allen Seiten des Konflikts zu achten.
Das Abschlusspodium brachte Vertreter*innen verschiedener antimilitaristischer Gruppen zusammen. Sie berichteten von ihren Aktionen, wie sie mobilisierten und welchen Widerständen sie begegneten. Besonders betont wurde die Bedeutung von Kongressen wie diesem, die nicht nur zur Weiterbildung, sondern auch als Orte der Begegnung und des Austauschs unter Aktivist*innen dienen. Es wurden Aktionen und Petitionen vorgestellt, an denen sich die Teilnehmenden beteiligen können, wie die Petition gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die Petition gegen die Abschaffung der Zivilklausel am DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron).
Der Kongress endete mit einer positiven Bilanz und dem Aufruf zu weiterem Engagement gegen Militarismus und Kriegstreiberei. Teilnehmer*innen verließen den Kongress motiviert, den Kriegstreiber*innen in der Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten.
Alle Beiträge des Kongresses sind als Audiomitschnitte nachzuhören unter imi-online.de. Der Kongressbericht auf dieser Seite wurde redaktionell gekürzt und leicht bearbeitet.
Zum Weiterlesen: Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) hat ebenfalls im Herbst eine Publikation zum Beitrag der Wissenschaft zu Krieg und Frieden herausgebracht. Bestellbar ist das Studienheft unter bdwi.de.
Der Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) zum Thema »›Zeitenwende‹ in Bildung und Hochschulen« fand vom 15. bis 17. November 2024 im Tübinger Schlatterhaus statt. Rund 200 Teilnehmer*innen nahmen an den Diskussionen zur Militarisierung von Bildung und Forschung teil. Die Auftaktveranstaltung im Tübinger Wohnprojekt Schellingstraße 6 bot ein abwechslungsreiches Programm mit künstlerischen Beiträgen und Erfahrungsberichten, darunter ein Tanztheater zur Verzweiflung der Gaza-Bevölkerung und eine Punk-Rock-Lyrik-Lesung.