Digitale Gegenwehr

geschrieben von Nils Becker

6. Mai 2025

Zur Radikalisierung junger Männer im Internet

Soziale Räume im Internet wie die Kurzvideoplattform TikTok werden zu ideologischen Verstärkern. Was unterhaltsam begann, wird heute mehr und mehr zum Nährboden für stereotype Geschlechterbilder und antifeministische Weltanschauungen. Besonders junge Männer geraten auf TikTok schnell in den Sog der »Manosphere«-Inhalte – eine toxische digitale Sphäre, in der Männlichkeitsideale mit Gewalt, Dominanz und Frauenverachtung verknüpft werden.

Die Manosphere ist kein einheitliches Gebilde, sondern vielmehr ein Netzwerk aus Medienmachern, Selbstoptimierungsgurus und ideologischen Einpeitschern, die traditionelle Geschlechterrollen verherrlichen und jede Abweichung davon diffamieren. Es wird damit Geld, aber vor allem Politik gemacht. Laut einer Studie der Dublin City University reichen durchschnittlich neun Minuten TikTok-Konsum, bis junge Männer mit entsprechenden Inhalten konfrontiert werden. Diese rasante algorithmische Vermittlung folgt einem System, das Emotionen priorisiert und Widerspruch selten zulässt.

Ein kreatives Gegengewicht zu dieser Entwicklung bietet das Projekt »Myke – Hacking the Manosphere« des Kollektivs onlinetheater.live aus NRW. Es versucht, den algorithmischen Verlockungen der Manosphere nicht frontal zu widersprechen, sondern sie subversiv zu unterwandern. Dafür wurden sechs TikTok-Charaktere erschaffen, die jeweils unterschiedliche Ästhetiken und Erzählweisen bedienten. Für die Accounts wurde eine Reihe von Videos entwickelt, die stark an die Rhetorik und Visualität populärer »Männlichkeitscoaches« angelehnt sind. Doch anstatt toxische Inhalte zu reproduzieren, stellen sie diese infrage, brechen mit Erwartungen und laden zur Reflexion ein.

kathikraft.de/myke-hacking-the-mansphere

kathikraft.de/myke-hacking-the-mansphere

Ein Video beginnt mit einer typischen Inszenierung eines »Alpha-Coaches«: Ein junger Mann spricht selbstsicher in die Kamera, benutzt vertraute Schlagworte wie »Disziplin«, »Erfolg« und »echte Männer«. Visuell und rhetorisch ähnelt der Clip gängigen Motivationsvideos. Doch nach etwa 20 Sekunden kippt die Tonlage. Der Protagonist hält inne, wird leiser und beginnt, über seinen inneren Druck zu sprechen, den ständigen Vergleich mit anderen, über Angst, nicht zu genügen. Die Kameraeinstellung verändert sich, das Licht wird weicher, die Sprache introspektiv. Die plakativen Männlichkeitsideale werden nicht direkt kritisiert, sondern durch persönliche Verletzlichkeit unterwandert. Der Clip endet offen – ohne Auflösung, aber mit einem Moment der Irritation, der zum Nachdenken anregt.

Diese gezielte Verfremdung funktioniert nach dem Prinzip des »Culture Jamming«: Vertraute Codes werden übernommen, aber mit einer kritischen Botschaft gefüllt. So entsteht ein Raum, in dem junge Männer sich selbst und ihre Rollenbilder hinterfragen können – ohne sich sofort einem moralischen Zeigefinger ausgeliefert zu fühlen. Die Videos operieren an der Grenze zwischen Satire und Aufklärung.

Das Projekt zeigt, wie Kunst, Pädagogik und digitale Praxis zusammenspielen können, um auf gesellschaftliche Verwerfungen zu reagieren. Anstatt junge Männer als bloße Opfer ideologischer Verführungen zu betrachten, werden sie als denkende Subjekte mit Ambivalenzen, Bedürfnissen und Fragen anerkannt. Es geht nicht um Schuldzuweisung, sondern um Öffnung und Entwicklung.

Die Reaktionen auf das Projekt, das im Sommer 2024 online ging fielen unterschiedlich aus. Während einige User:innen irritiert oder ablehnend reagierten, stießen andere auf Inhalte, die sie ins Grübeln brachten. Der Effekt ist kein viraler Hype, sondern eine leise, aber nachhaltige Irritation. Diese Art der Intervention ist nicht spektakulär, aber sie setzt dort an, wo politische Bildung oft zu spät kommt: im Alltag digitaler Selbstverortung.

Nach rund drei Monaten wurde das Projekt auf den Kanälen als künstlerisches Experiment enthüllt. Die Verantwortlichen erklärten, dass es sich um bewusst inszenierte Inhalte handelte, um die Mechanismen der »Manosphere« sichtbar zu machen. Die Reaktionen waren zwiegespalten: Einige fühlten sich reingelegt, andere lobten die gelungene Medienkritik und digitale Zivilcourage. Insgesamt erzielten die Videos über eine halbe Million Views, ein Drittel der Kommentare stammte von jungen Männern.

Auf der Dokumentationsseite des Projekts www.myke.fyi wird genau darüber berichtet, wie das Projekt technisch und inhaltlich durchgeführt wurde. Nachmachen ist gern gesehen.