Diskurs statt Zurechtweisung!
6. Mai 2025
Zur Gedenkveranstaltung im Jahr 2025 in Buchenwald. Ein Gespräch mit Horst Gobrecht
antifa: Wie lange wird es Gedenkveranstaltungen wie die zum 80. Jahrestag der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 6. April 2025 wohl noch geben?
Horst Gobrecht: Von der Selbstbefreiung durch die Häftlinge am 11. April 1945 wurde dieses Jahr in keiner Rede vor den offiziell geladenen Gästen und vor Hunderten angereisten Antifaschist*innen gesprochen. Nicht einmal der vielfältige und dauerhafte, aber auch opferreiche Widerstand der Gefangenen unter den widrigsten Bedingungen des allgegenwärtigen SS-Terrors war es offensichtlich wert, auch nur erwähnt zu werden. Unter solchen Vorzeichen können Gedenkveranstaltungen sicher noch lange stattfinden.
antifa: Ist das Buchenwald-spezifische Gedenken damit eher beendet?
H. G.: Nicht zwangsläufig. Wir erleben eigentlich schon seit Jahrzehnten, wie sich die Erinnerungskultur nicht nur mit der Erweiterung wissenschaftlicher Erkenntnisse über das KZ Buchenwald und die dort Gefangenen qualitativ verändert. Solche Gedenkveranstaltungen verlieren immer mehr den Charakter einer bewussten Auseinandersetzung mit den einschlägigen Erfahrungen im Lager, seit die Zeugen des SS-Terrors, des Überlebenskampfes der Häftlinge und der durch sie organisierten Solidarität im KZ Buchenwald nicht mehr aktiv daran teilnehmen können.
antifa: Wie blickst du auf die Umstände, die dazu führten, dass der deutsch-israelische Philosoph Dr. Omri Boehm am 6. April nicht reden konnte?
H. G.: Der Historiker und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Dr. Jens-Christian Wagner, hält ihn für einen international anerkannten deutsch-israelischen Philosophen. Wohl deshalb erwartete er von ihm eine Rede, die »zum Diskurs anregt«. Der Gedenkstättenleiter stellte im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen zu Recht die rhetorische Frage: »Wann, wenn nicht am 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der -Befreiung der Konzentrationslager, sollen wir darüber nachdenken, was das für uns heute bedeutet?«
antifa: Das ist doch eine nicht nur akzeptable, sondern vorbildliche Einstellung.

Horst Gobrecht ist Vorsitzender der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis, langjähriger ver.di-Gewerkschaftssekretär und Autor mehrerer Bücher zu Buchenwaldern. Foto: privat
H. G.: So ist es. Aber war es nicht so, dass Dr. Wagner, als die massiven Angriffe des Botschafters Ron Prosor im Auftrag der israelischen Regierung gegen die Einladung von Omri Boehm gestartet wurden, von der Thüringer Landesregierung »im Regen stehen« gelassen wurde? Wurde nicht auf diesem Wege der angestrebte offene Diskurs im Zusammenhang mit der Gedenkfeier verhindert? Sicher müssen nicht bloß Wissenschaftler unbedachte Vorwürfe als »sehr verletzend« empfinden. Doch stellt sich auch die Frage, ob Rückzug in einer solchen Auseinandersetzung vorbildlich gerade für junge Menschen ist. Vor allem ihnen hatte der Gedenkstättenleiter doch in seiner eigenen Rede am 6. April die Worte des französischen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel »Engagiert euch« zugerufen.
antifa: Ist das so ungewöhnlich, dass Wort und Tat bei Personen mit öffentlichen Ämtern auseinandergehen?
H. G.: Das mag so sein, doch muss dies nicht auch den öffentlichen und politischen Diskurs bestimmen? Auf ein Ereignis am 6. April in -Buchenwald möchte ich noch hinweisen: Zur Gedenkveranstaltung trugen etwa zwei Dutzend junge Spanier*innen ihr »Buchenwald-Manifest« vor. Dabei scheint die letzte Rednerin auch jene Gedanken Hessels verinnerlicht zu haben, der vor fünfzehn Jahren erklärte, »am meisten« sei er »über die Verhältnisse in Palästina empört«. Die sichtlich empörte Spanierin rief nach Verlesen des Manifests »unabgesprochen«: »Worauf warten wir? Menschen sterben – in der Ukraine im Krieg und in Palästina in einem Genozid.«
Dr. Wagner hat diesen offensichtlichen Fehlgriff bei der Wortwahl, aber nicht als bewusste »Verharmlosung« des Holocausts erkennbare emotionale Äußerung zurückgewiesen: Vom »Genozid zu sprechen, das gehört sich nicht an einem Ort wie hier«, sagte er. Viele der anwesenden Antifaschist*innen bedachten den Ausruf der jungen Aktivistin mit Beifall, andere unterstützten die Ermahnung durch den Gedenkstättenleiter.
antifa: Soll so eine Diskussion aussehen oder geführt werden?
H. G.: Sicher mit Diskurs statt Zurechtweisung. Wenn Dr. Wagner davon überzeugt ist: Warum griff er dann nicht richtigstellend ein, als die ukrainisch-deutsche Politikerin Marina Weisband in ihrer ausdrucksstarken Rede in Buchenwald behauptete, »auf das System in Russland und zunehmend auf die USA« ließen »sich sämtliche wissenschaftlichen Definitionen des Faschismus anwenden«? War das keine Verharmlosung des Faschismus?
Das Gespräch führte Ulrich Schneider.