editorial
6. Mai 2025
80 Jahre sind eine lange Zeit. Vielleicht etwas zu lang, um noch alles, was damit zusammenhängt, angemessen zu würdigen und Lehren daraus zu ziehen. Das Gedenken an die Befreiung und das Kriegsende ist für uns Antifaschist*innen Anlass, die noch andauernden Kämpfe um die Deutung des deutschen Faschismus zu führen und die unzureichende Aufarbeitung anzumahnen. Denn viele sehen in der Erinnerung die Chance zu entpolitisieren, Halbwissen zu verbreiten, Zusammenhänge nicht zu benennen und die Geschichte des Nationalsozialismus aus dem Alltag in die Zeremonien, die Bücher und am besten unter die Erde zu verbannen. Wer genau hinhört, wird feststellen, dass das gesellschaftliche und staatliche Erinnern immer dann an Grenzen stößt, wenn es für die Mehrheitsgesellschaft unbequem wird. Es bleibt wichtig, hier nicht nachzugeben, nicht bequem zu werden, sondern sich selbst und der Gesellschaft die Aufgabe abzuverlangen, das Gedenken zur kritischen Selbstbefragung zu nutzen. Damit sich Auschwitz nicht wiederholt, bedarf es mehr als Zeremonien mit Phrasen des Bedauerns. Es bedarf eines antifaschistischen Alltagsverstands.
Ein Beispiel, was es heißt, dem Erinnern gerecht zu werden: Vor 80 Jahren wurden auch die UN (Vereinte Nationen) als Resultat des Zweiten Weltkriegs gegründet –, auch um ähnlichen Verbrechen wie dem Holocaust schneller zu begegnen. 2025 wird das Jahr der Reform der UN sein, in dem der letztes Jahr beschlossene Zukunftspakt unter anderem zur Demokratisierung des Sicherheitsrates, mit Leben gefüllt werden soll. Wenn wir uns bewusster machen, dass auch lange nach 1945 das »Nie wieder« für zu viele Menschen in der Welt nicht eingelöst wurde, dass für sie Krieg, Vertreibung und die Tötung von Familienangehörigen zur Realität gehören, ist klar, dass es dabei auch um unsere Sache geht.