Kanonenfutter gesucht

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

6. Mai 2025

Wehrpflicht: Bundeswehr-Anwerbeversuche haben es bei jungen Menschen schwer

Die lauten Töne um die Wiedereinführung einer Wehrpflicht in Deutschland werden, insbesondere seit die Große Koalition ausgemachte Sache ist und die USA ihre Unterstützung für die Ukraine weiter zurückfahren, immer ohrenbetäubender. Als Verstärker dieser Forderungen laufen sich neben den Befürworter:innen aus der Politik auch Interessenverbände der Bundeswehr, unzählige weitere Militärs und andere Bellizist:innen warm. Dazu passen das permanente Geraune von »Zeitenwende«, »Kriegstüchtigkeit« und ein Aufrüstungsblankoscheck der zukünftigen Koalition. Die Verteidigungsausgaben sollen so nach oben hin keine Grenze mehr haben.

In der aktuellen Debatte ist immer wieder die Rede davon, der Bundeswehr fehlten derzeit rund 100.000 Rekrut:innen (siehe Spalte). Weiter heißt es stets gebetsmühlenartig, diese Lücke sei ohne einen neuen Zwangsdienst nicht zu schließen. Jene Sicht vertritt mit Carsten Breuer auch der aktuelle Generalinspekteur der Bundeswehr. Bedenken aus der Truppe über ein zu hohes Tempo beim Buhlen um Soldat:innen gibt es aber auch: Kommandeur Harald Gante warnte Anfang März, wenn »ich keine Kasernen habe, keine Betten, keine Kompaniegebäude, in denen ich die Soldatinnen und Soldaten unterbringen kann, dann muss ich diese auch gar nicht erst einstellen.« Gante will 2025 somit nur 2.500 zusätzliche Streitkräfte ausbilden lassen, mehr sei beim Bund aktuell nicht drin.

Zeichnung: www.yusuf-jonna.de

Zeichnung: www.yusuf-jonna.de

Innerhalb der künftigen Regierungskoalition machen sich insbesondere CDU und CSU für die schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht stark, während sich die SPD für einen auf Freiwilligkeit basierenden »neuen Wehrdienst« einsetzt. So sprach sich die CDU in ihrem Grundsatzprogramm für die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres für alle Heranwachsenden unabhängig vom Geschlecht aus: Wer nicht zur Armee will, hat demnach ein »Gesellschaftsjahr« bei sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtungen an der Backe. »Wir können ja nicht teilnahmslos zuschauen, wie die Welt um uns unsicherer wird«, so Florian Hahn (CSU), der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Anfang März. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) teilte Mitte April mit, die Bundeswehr brauche zusätzlich mindestens 100.000 Soldat:innen und müsse dies innerhalb von vier Jahren schaffen.

Die SPD hingegen schrieb in ihr Grundsatzprogramm: »Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit basieren und sich dabei am Bedarf der Bundeswehr orientieren. Es müssen zügig die Grundlagen für eine Wehrerfassung geschaffen werden« (siehe Spalte). Auf den künftigen Oppositionsbänken gehen die Positionen zur neuen Wehrpflicht auseinander: Die Grünen wollen einen sechsmonatigen verpflichtenden »Freiheitsdienst« für alle im Alter zwischen 18 und 67 Jahren, Die Linke spricht sich klar gegen die Wehrpflicht aus, die AfD als extrem rechte Pressuregroup von Militärs und anderen Waffennarren forderte bereits mehrfach eine zweijährige Wehrpflicht.

Zukünftiger Mittelpunkt für gesellschaftliche Auseinandersetzungen gegen die neuen Wehrpflichtpläne dürften gerade Schulen, Universitäten und Ausbildungsstätten sein. Die Bundeswehr betreibt dort bereits seit Jahren enorme Kraftanstrengungen, Besuche an diesen Orten als Teil ihrer Rekrutierungsstrategie zu etablieren, um das deutsche Heer im Alltag sowie unter jungen Menschen zu normalisieren. Vielerorts passiert dies jetzt schon mit erheblichem Widerstand seitens der von diesen Anwerbeversuchen betroffenen jungen Menschen. So gibt es Berichte, dass an vielen Schulen Besuche beispielsweise von Bundeswehr-Offizieren aus Angst vor Protesten seitens des Lehrpersonals gar nicht mehr im Voraus angekündigt werden. Diese Sorge ist nicht unbegründet: Meinungsumfragen zeigen, dass 16- bis 18-Jährige trotz der gesteigerten Armeewerbung die Wehrpflicht weiterhin mehrheitlich ablehnen.

Doch auch unabhängig von lautstarkem Widerspruch, wenn das Kanonenfutter in Tarnjacken geheim und ganz spontan in der Schule auftaucht, ist Protest möglich. So freut sich die Kampagne »Wehrpflicht? Ohne mich! – Yusuf und Jonna verweigern den Kriegsdienst« der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) weiterhin über jede Unterstützung. Auf der Kampagnenwebsite www.yusuf-jonna.de ist es so möglich, sich öffentlich gegen die Wehrpflicht-pläne zu stellen und klarzumachen, dass man einen Zwangsdienst in jeglicher Form ablehnt. Die Website bietet zudem allerlei Hintergrundinformationen, auch für antimilitaristische Aktionen. Außerdem gibt es aktuell eine Petition des Bündnisses »Nein zur Wehrpflicht!« mit dem Titel »Gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und anderer Zwangsdienste« auf openpetition.de (siehe kurzlinks.de/contrawehrpflicht). Das Bündnis, in dem auch mehrere Parteijugendverbände aktiv sind, lehnt eine Wiedereinführung der Wehrpflicht oder andere Zwangsdienste ebenso entschieden ab.

Kippt die SPD?

Die Wehrpflicht war hierzulande im Jahr 2011 ausgesetzt worden. Bisher spricht man bei der SPD nicht von einer neuen Wehrpflicht, sondern setzt sich für einen auf Freiwilligkeit basierenden Wehrdienst ein. Doch ob es angesichts von Stimmen in der Partei wie denen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (Dezember 2024: »Deutschland hat, wie viele andere Länder auch, die Wehrpflicht nach dem Ende des kalten Krieges ausgesetzt. Das war ein Fehler, die Zeiten haben sich geändert. Deutschland muss jetzt eine neue Form der Wehrpflicht einführen«) oder Eva Högl, der Wehrbeauftragten des Bundestages, (Juni 2024: »Freiwilligkeit ist wichtig, aber es braucht perspektivisch auch eine Verpflichtung. Allen muss deutlich werden: Jeder und jede in unserer Gesellschaft muss einen Beitrag leisten«) dabei bleibt, steht auf einem anderen Blatt.

Bundeswehr-Zahlen

Mit Stand 28. Februar spricht die Bundeswehr von derzeit rund 260.000 eigenen Rekrut:innen (182.667 in Uniform, 80.860 in Zivil). Zudem ist aktuell von etwa 10.000 freiwillig Wehrdienstleistenden die Rede.