Zum Postfaschismus

geschrieben von Axel Holz

6. Mai 2025

Von Berlusconi zu Meloni: Neues Buch zeichnet Entwicklung der Rechten in Italien nach

Italien wählte 2022 Giorgia Meloni von der Partei Fratelli d’Italia zur Ministerpräsidentin. Die Postfaschistin hatte sich in der Corona-Krise als Unterstützerin der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie positioniert. Meloni stellte sich gegen die ebenfalls extrem rechte Lega unter Matteo Salvini und war in dieser Auseinandersetzung tonangebend. Aber anders als bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, wo sich ein Cordon sanitaire der Parteienlandschaft gegen den Durchmarsch von Marine Le Pens Rassemblement National gestellt hatte, gab es in Italien keinen Widerstand gegen die Inthronisierung der Postfaschistin. Meloni war 2006 mit nur 29 Jahren in das italienische Abgeordnetenhaus eingezogen, wurde dessen Vizepräsidentin und nach dem rechten Wahlsieg unter Berlusconi 2008 als Jugendministerin das jüngste Kabinettsmitglied in der Geschichte Italiens.

Wie konnte es zu diesem widerstandslosen Durchmarsch der extrem Rechten kommen? Michael Braun von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Italien legt dafür keine Analyse vor. Er dokumentiert aber die Entwicklung des Parteiensystems Italiens sowie seiner Akteure über 30 Jahre hinweg und lässt wesentliche gesellschaftliche Begleitumstände für den Vormarsch erkennen. Eine zersplitterte Linke hatte nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems Anfang der 1990er begünstigt, dass Berlusconi mit seiner Forza Italia in diese Lücke springen konnte. Er hatte allen alles versprochen: nur noch zwei Einkommensteuerstufen, die Bekämpfung der Kriminalität, Mindestrenten, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Strukturmaßnahmen für Straßen, Eisenbahnen, U-Bahnen und die Brücke von Messina von Sizilien zum Festland.

Michael Braun: Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus. Dietz, Bonn 2024, 200 Seiten, 20 Euro

Michael Braun: Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus. Dietz, Bonn 2024, 200 Seiten, 20 Euro

Nach der Wahl standen im Mittelpunkt seines Interesses aber die Stärkung seines Medienkonzerns und seine Auseinandersetzungen mit der Justiz wegen Vorwürfen der Korruption, Bilanzfälschungen sowie Skandalen rund um Sexpartys mit Minderjährigen. Begünstigt wurde der Durchmarsch der Rechten auch durch die schwache Gewerkschaftsbewegung sowie eine kriminelle Steuervermeidungskultur, die durch Steueramnestien und staatliches Freikaufen von Schwarzbauten unter Berlusconi eher befördert wurde. Nicht unschuldig ist auch die sozialdemokratische Partito Democratico, die unter ihrem Vorsitzenden Matteo Renzi als Regierungschef durch milliardenschwere Einsparungen bei Investitionen von 2007 bis 2014 ein Sinken des BIP um zehn Prozent bewirkte und die Verschuldungsrate damit anhob. Ausbleibendes Lohnwachstum und fast eine Verdopplung der Arbeitslosenzahlen waren das Resultat der neoliberalen Arbeitsmarktreformen, die die Verarmung von Millionen Italienern vorantrieb. Schließlich hatte nicht nur die Privatisierung der Medienkonzerne Berlusconi bei den Wahlen Sendezeiten von 70 Stunden je Woche ermöglicht, auch die regierungstreue Ausrichtung des Staatssenders RAI konnte nun rechtspopulistische Regierungsbeteiligungen stärken.

Grundlegende soziale Veränderungen konnte die Fünf-Sterne-Bewegung bewirken, die sich nach der Ablösung der gescheiterten neoliberalen Regierung Renzi 2018 unter Ministerpräsident Giuseppe Conte durchgesetzt hatte. Die benötigte aber nun aus den drei stabilen politischen Blöcken einen Koalitionspartner, den sie in der gewendeten Lega Matteo Salvinis fand. Die ehemalige Lega Nord unter Umberto Bossi hatte sich vom Separatismus zum Ultranationalismus gewandelt. Plötzlich waren für die Lega das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die Staatsbürgerschaft für Kinder von Geflüchteten und Migranten sowie die Ehe für alle keine Tabus mehr. In seiner neuen Funktion als Innenminister behinderte der neue Lega-Chef Salvini aber Einwanderung und Seenotrettung massiv und stellte rassistische Hürden für den Zugang zu Sozialwohnungen auf. Gleichzeitig gelang es Wirtschaftsminister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung, eine Grundsicherung für 1,4 Millionen Menschen durchzusetzen, die mit 500 Euro und Familienzuschlägen an geringe Rücklagen sowie ein begrenztes Immobilienvermögen gebunden waren und den Staat neun Milliarden Euro kosteten. Hunderttausende waren damit der Armut ein Stück weit weniger ausgeliefert. In der Wählergunst dominierte aber der von Salvini angestachelte Rassismus. Vom Experiment profitierten schließlich die Rechten.

Unter der postfaschistischen Ministerpräsidentin Meloni wurden zunächst die Mittel für die gerade errungene Grundsicherung um die Hälfte auf etwa vier Milliarden Euro gekürzt. Die von der Opposition geforderte Einführung eines Mindestlohns lehnte Meloni ab, obwohl in Landwirtschaft und Dienstleitungswesen Löhne von nur fünf Euro üblich sind. Gespräche mit Drittstaaten über Zuwanderung und ein juristisch angreifbares Ausreisezentrum in Albanien brachten Meloni europäische Aufmerksamkeit, aber nicht die gewünschte Begrenzung der Zuwanderung. Wichtigstes Ziel jedoch ist für Meloni der Umbau des Staates hin zu einem Präsidialregime und die Schwächung der Justiz. Die bisher unabhängige Kammer der Richter und Staatsanwälte soll geteilt und die Staatsanwälte sollen dann dem Justizministerium unterstellt werden. Ein direkt gewähltes Präsidialsystem mit kontrollierten Gerichten ist das Ziel dieses antidemokratischen Staatsumbaus, der nicht mehr in weiter Ferne liegt. Melonis Weg zum Postfaschismus könnte als Blaupause für die staatliche Verankerung der Rechtspopulisten in Europa dienen.

Normalisierung der Neofaschisten in Italien

Obwohl in Italien das extrem rechte Dreierbündnis 2022 mit den Fratelli d’Italia an der Spitze 38 Prozent der Stimmen erzielte, blickte ganz Europa schockiert nur auf den Wahlsieg Le Pens in Frankreich, die 34 Prozent erreichte. Der Grund für den fehlenden Widerstand in Italien, der Berlusconi 2003 noch von drei Millionen Demonstranten gegen sein Gesetz zur Änderung des Kündigungsschutzes entgegenschlug, lag in der Normalisierung der Neofaschisten in der Gesellschaft. Den Weg dafür hatten Silvio Berlusconi und Matteo Salvini geebnet und Giorgia Meloni dabei früh gefördert.