Das trifft den Nerv der Zeit
6. Juli 2025
Klassenwidersprüche benennen als Teil von Gewerkschaftspolitik gegen rechts. Ein Gespräch mit Lisa Baumeister
Lisa Baumeister ist ver.di-Gewerkschaftssekretärin in Berlin-Brandenburg und verantwortlich für die Landesbezirksfachgruppe Abfallwirtschaft.
antifa: Du bist bei ver.di Berlin-Brandenburg für die Landesbezirksfachgruppe Abfallwirtschaft tätig. Wie stellt sich im Hinblick auf Rassismus sowie Neonazismus die Lage in den Belegschaften und in den gewerkschaftlichen Strukturen dar?
Lisa Baumeister: Unserer Kolleg:innen sind hauptsächlich in Betrieben der Müllabfuhr in Berlin und Brandenburg tätig. Das sind vorwiegend Kraftfahrer und Lader, so heißen jene, die die Tonnen ziehen. Die übergroße Mehrheit hier sind Männer, und es sind vorwiegend Beschäftigte mit einem niedrigen oder maximal mittleren Bildungsabschluss. Es gibt auch immer Ausnahmen, klar. Beim Blick in die Strukturdaten bei den AfD-Wahlergebnissen wird schnell deutlich, das ist genau die Klientel, mit der ich berufsmäßig vielfach Gewerkschaftsarbeit oder Tarifkampagnen in den Betrieben gestalte – in Brandenburg wird das noch viel deutlicher als in Berlin.
So kommt es schon gelegentlich vor, dass auf ver.di-Mitgliederversammlungen im Betrieb rassistische Sprüche à la »Wer kriegt denn eigentlich die ganze Kohle?« fallen. Es gibt ein paar traurige Einzelfälle in Brandenburg, wo wir innerhalb von ver.di – weniger in den Mandats- oder in Betriebsratsstrukturen, aber in der reinen Basismitgliedschaft – mitbekommen haben, dass wir es mit organisierten Neonazis zu tun haben. Viel alltäglicher hingegen ist der klassische AfD-Wähler, der »die da oben« kritisiert und bei dem ein Alltagsrassismus mitschwingt. Ich würde behaupten, das ist nicht immer die reine neonazistische Lehre, sondern Ergebnis dessen, dass die AfD bei vielen als Protestpartei wahrgenommen und deswegen gewählt wird.
antifa: Was tut ihr gegen rechts?
L. B.: Wir haben im Team eine Verabredung getroffen, dass wir immer ansprechen, wenn wir mitkriegen, dass ein Kollege etwas Rassistisches sagt. Wir gehen dann offensiv in die Diskussion. Meistens ist die Argumentation sehr abstrakt: Irgendwelche geflüchteten Menschen kriegen mehr Geld als »wir«. Es gibt so gut wie keine Migrant:innen im Bereich der Abfallwirtschaft. Die wenigen, die es gibt, sind häufig osteuropäische Männer. Wenn wir da gewerkschaftlich arbeiten und auch gegen Rassismus argumentieren, dann ist es im Vergleich beispielsweise mit dem Einzelhandel, wo viele migrantische Beschäftigte arbeiten, schwieriger. Denn dort lässt sich häufig sagen: Ey, seid doch nicht so doof und lasst euch wegen Rassismus spalten, wenn ihr in den Arbeitskampf, in den Streik gehen oder wenn ihr für bessere Arbeitsbedingungen gemeinsam einstehen wollt.
Und deswegen machen wir das viel grundsätzlicher an der Frage von »wir hier unten« gegen »die da oben« auf. Wenn wir mit Leuten sprechen, die sich rassistisch äußern, dann kann das auch Teil einer Auseinandersetzung gegen rechts sein, wenn die Klassenfrage in den Blick genommen wird. Wir sagen, wir dürfen uns nicht spalten lassen, weil die anderen, also die Arbeitgeberseite, die nutzt das ja auch explizit als Mittel aus. Das verstehen dann schon viele, weil die Beschäftigten ganz genau wissen, was die Chefs so für Sauereien zum Teil machen.
antifa: Hilft euch Material, das ver.di auf Bundesebene erstellt, wenn es um die Auseinandersetzung gegen rechts und Rassismus geht, oder müsst ihr da eigene Konzepte finden?
L. B.: Also meistens stehen da so Dinge drin wie »wir müssen die Demokratie verteidigen und demokratische Parteien wählen«. Aus meiner Erfahrung kommt das nur bedingt gut an, weil die besagten Parteien in der Wahrnehmung der Leute, die sie früher gewählt haben, versagten. Die SPD hat vor 20 Jahren die Agenda 2010 durchgezogen, und das war ein krasser Angriff auf
Arbeitnehmerschutzrechte. Die Menschen wissen schon ganz genau, was da passiert ist. Also die Frage, sind demokratische die besseren Parteien, wird halt nicht so einfach mit ja beantwortet. Das liest man dann aber in einer ver.di-Argumentationsbroschüre gegen rechts. Da würde ich sagen, das hilft uns gar nicht weiter in der Abfallwirtschaft. Meistens entwickeln wir selbst etwas. Und nicht anhand parlamentarischer Demokratie, sondern vielmehr anhand der Frage von: »Was ist denn eigentlich echte Demokratie im Betrieb«? Das geht halt nur mit guten Tarifverträgen, mit einer guten Mitbestimmungsstruktur und auch mit der Möglichkeit, dass wir basisdemokratisch arbeiten. Von unserer Seite können wir den Laden sauber halten, wenn wir sagen, alle ver.di-Mitglieder dürfen mitbestimmen, wenn es um den Tarifvertrag geht.
antifa: Wie hoch ist der Anteil der ver.di-Mitglieder in deinem Bereich?
L. B.: Ver.di ist hier in Berlin hauptsächlich in der BSR unterwegs. Das ist auch der größte Laden mit 6.200 Beschäftigten. Wir haben einen sehr guten Organisationsgrad in der BSR, je nach Arbeitsbereich bis zu 80 Prozent. Das ist fast schon einmalig in der ver.di-Gewerkschaftswelt. In Brandenburg sieht es schlechter aus, weil nach der »Wende« das Bundesland immer so ein bisschen stiefmütterlich behandelt wurde. In den Betrieben, in denen wir dort aktiv sind, haben wir einen Organisationsgrad von 30 bis 50 Prozent, es gibt aber auch viele Betriebe, in denen wir überhaupt nicht präsent sind.
antifa: Wie wirken Rechte in die Belegschaften, treten sie offen auf, und was sind konkret eure Gegenstrategien zu deren Zurückdrängung?
L. B.: Als ich vorhin auf die Einzelfälle mit den organisierten Neonazis zu sprechen kam, ging es auch um einen Kollegen in Cottbus. Rund 50 Prozent der Wähler:innen dort gaben bei der Landtagswahl der AfD ihre Stimme, also jeder zweite. Der besagte Kollege ist sehr offen aufgetreten, hat deutlich gemacht, wer er ist und was er für Ansichten hat. Gleichzeitig war er derjenige, der die meisten Kollegen für die Tarifkampagne in die Gewerkschaft gebracht hat. Er hat jetzt als Rechter keine große Kritik an der Gewerkschaft geäußert, er hat nicht das gewerkschaftliche Feld bespielt, wie es andere Rechte tun. In Hannover gibt es zum Beispiel gerade einen Fall, wo ein ehemaliger ver.di-Vertrauensmann, der gleichzeitig für die AfD im Stadtparlament sitzt, einen Ableger der rechten Pseudogewerkschaft Zentrum gegründet hat. Nun macht er Arbeit gegen DGB-Gewerkschaften, ganz klassisch gegen die ver.di und geht da auch konkret mit der Ansage rein, uns die Mitglieder wegzunehmen und das »Zentrum« aufzubauen. Vergleichbares haben wir noch nicht bei uns im Bereich.
Was wir im Sinne der Frage »Was sind unsere Gegenstrategien« sagen können, ist in der Arbeit mit den Kolleg:innen beispielsweise: Wir haben hier einen Tarifvertrag, der muss mal wieder verhandelt werden. Alle wollen mehr Kohle. Das geht halt nur mit der Gewerkschaft. Und wenn wir das ernsthaft machen wollen, wenn wir also ein gutes Tarifergebnis haben wollen, dann kann es auch sein, dass wir streiken müssen. Ich denke, das ist so ein Unterschied, den wir zu anderen ver.di-Bereichen haben, weil der Streik bei uns immer mit am Tisch sitzt. Und ganz oft ist es so, dass viele von der Gewerkschaft nie das Wort Streik hören, weil ganz viele auf Verhandlungen setzen. Das macht uns im Sinne von »Wie gewinnen wir das Ding«, »Wie machen wir einen guten Tarifvertrag«, glaube ich, authentisch, das halt von vornherein mitzudenken. Und die Leute haben auch Bock zu streiken und auch mal auf die Straße zu gehen, um sich selbst einen besseren Tarifvertrag zu erstreiten.
antifa: Wow, Klassenkampf. Wie kommt das bei ver.di sonst so an?
L. B.: Wichtig ist erst mal: Das kommt sehr gut bei den Beschäftigten an, auch wenn vielleicht der Begriff Klasse nicht gerade das verwendete Wording ist. Das ist ein bisschen differenzierter, weil er halt einfach links oder im Zweifel auch marxistisch angehaucht ist. Und das checken die Beschäftigten schon, und gerade konservativ bis rechte Männer finden es dann nicht so toll, wenn wir linke oder marxistische Begriffe benutzen. Aber sei es drum. Es geht ja um den Standpunkt und die Haltung, die dahinter steht. Und das ist etwas, was total das trifft, wo viele Kolleg:innen sich auch selbst stehen sehen. Sie wissen ja schon, dass sie Teil einer Gruppe sind, die kein Eigentum besitzt, und sie deswegen arbeiten gehen, und ja, also vor allem in dem Bereich malochen gehen müssen mit körperlich wahnsinnig anstrengender Arbeit. Also nicht mit den Wörtern, aber mit dem Inhalt, der hinter dem Klassenbegriff und dem Klassenwiderspruch steht, das trifft total den Nerv der Zeit. Und auch den Standpunkt der Leute.
Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze.