Know your enemy
6. Juli 2025
Dachauer Symposien zu rechtem Geschichtsrevisionismus
Wenn Maximilian Krah die SS verharmlost, sich Jana aus Kassel mit Sophie Scholl vergleicht, der ehemalige CDU-Abgeordnete Henry Nitzsche ein Ende des »Schuldkults« fordert oder die inzwischen verstorbene Ursula Haverbeck die Massenverbrechen der Nazis leugnet, dann wird sich Geschichte von rechts angeeignet, umgedeutet und für gegenwärtige politische Erzählungen genutzt. Rechter Geschichtsrevisionismus ist, wie diese Beispiele deutlich machen, kein einheitliches Phänomen, sondern ein Konglomerat verschiedener Strategien und Ideologien, deren Akteur*innen teilweise voneinander abweichende Ziele verfolgen. Der vorliegende Band »Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland« versucht dieses unübersichtliche Feld zu ordnen, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und Unterschiede herauszuarbeiten.
Auf knapp 200 Seiten erfolgt dies in Form eines knappen Überblicks, indem insbesondere verschiedene Akteur*innen des rechten Geschichtsrevi-sionismus in den Blick genommen werden. Ein Fokus liegt nachvollziehbarerweise auf der AfD und deren Vorfeldorganisationen. So wird einerseits dem ehemaligen Institut für Staatspolitik um den extrem rechten Publizisten und Aktivisten Götz Kubitschek breite Aufmerksamkeit zuteil. Hier ist der Text von Volker Weiß hervorzuheben, der in beeindruckender Akribie eine Rede Kubitscheks analysiert und dort eine Programmatik extrem rechter Politik wiederfindet, die den »Krieg« (Kubitschek) um die Geschichte als zentral für die eigenen Ziele betrachtet. An diesem Kampf sind allerdings noch weitaus mehr Akteur*innen der extremen Rechten beteiligt. Justus H. Ulbricht führt in das weitverzweigte und umtriebige rechte Verlagswesen ein, während sich Maik Fielitz und Hendrik Bitzmann rechter Onlinepublikationen annehmen.
Schließlich ist es andererseits die AfD, die als parlamentarischer Arm der extremen Rechten Geschichtsrevisionismus verbreitet und falsche und irreführende historische Narrative kolportiert. Markus Linden zeigt, wie widersprüchlich die Bezugnahme der Partei auf historische Narrative bisweilen ausfällt – beispielsweise wenn der beliebte Topos der Gleichsetzung der BRD mit dem Nazireich neben klassischen Relativierungen der Kriegsschuld Deutschlands steht.
Jens-Christian Wagner versucht bei aller Widersprüchlichkeit, eine Genese des rechten Geschichtsrevisionismus nachzuzeichnen, dessen Anfänge er schon in der NS-Propaganda verortet. Wagner macht darauf aufmerksam, dass dieser sich nicht nur als Leugnung der NS-Verbrechen äußert, sondern auch als Aufrechnung, Bagatellisierung oder Rechtfertigung daherkommt und somit äußerst anpassungsfähig an gegenwärtige Debatten ist. Maik Tändler hingegen betont den antisemitischen Kern des »Schuldkult«-Narrativs und zeigt auf, wie dieser sich auch in postkolonialen Debattenbeiträgen wiederfindet. Tändler wiederholt zwar größtenteils Positionen aus dem Historikerstreit 2.0, in der direkten Gegenüberstellung zu rechten Argumentationslinien gegen die Erinnerung an die Massenverbrechen des Nationalsozialismus ist das aber dennoch eindrücklich.

Jens-Christian Wagner und Sybille Steinbacher (Hg.): Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland. Formen, Felder, Ideologie. Wallstein, Göttingen 2025, 205 Seiten, 20 Euro
Dass rechter Geschichtsrevisionismus aber nicht nur Thema von Publikationen, Reden oder Wahlkampfveranstaltungen ist, sondern sich bisweilen auch gewaltvoll bahnbricht, wird in den Texten von Imanuel Baumann zum Rechtsterrorismus und von Sophie Schönberger zu Reichsbürger*innen deutlich. Fabian Virchow bespricht zudem eine spezifische Spielart des Geschichtsrevisionismus im Milieu der Pandemieleugner*innen, der anschlussfähig an extrem rechte Narrative ist.
Besonders im Text von Schönberger wird deutlich, dass nicht nur der Nationalsozialismus im Fokus des rechten Geschichtsrevisionismus steht, sondern auch das deutsche Kaiserreich, die DDR und der deutsche Kolonialismus im Sinne rechter Agitation umgedeutet werden sollen. Hier wären weitere Beiträge wünschenswert gewesen. In Bezug auf den NS wird aber deutlich, dass es sich beim rechten Geschichtsrevisionismus um ein weitverbreitetes und fest verankertes Betätigungsfeld der extremen Rechten handelt, ohne dass es dabei zur Konstruktion eines eigenen, kohärenten Geschichtsbildes kommt. Viel eher ist dieser selbst eine Strategie und »Praxis der partiellen Realitätsdestruktion« (Kumkar nach Fielitz/Bitzmann) zur »Unterminierung faktenbasierter Auseinandersetzung«, mit je unterschiedlichen Zielen, seien es der Ausbau der eigenen Machtbasis, die eigene moralische Erhöhung oder der Nationalismus.
Zwar wird im vorliegenden Band die Diskussion um Methoden dieser Strategie (Fake News, Verschwörungserzählungen usw.) und bisweilen auch um die konkreten Motivationen (bspw. spricht Schönberger eine spezifische Ohnmachtserfahrung im Reichsbürgermilieu an) der Akteur*innen eines rechten Geschichtsrevisionismus nur andeutend geführt. Dennoch bietet »Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland« eine hervorragende Einführung ins Thema. Und ganz im Sinne der beiden Herausgeber*innen ist das Buch nicht nur eine akademische Abhandlung, sondern kann als Grundlage zur Intervention in der geschichtspolitischen Praxis genutzt werden.