Netanjahus Obsession
6. Juli 2025
Der militärische Angriff Israels gegen Iran trifft vor allem Zivilist*innen
Der militärische Angriff Israels gegen Iran, der in der Nacht zum 13. Juni begann, erfolgte mit der Begründung, Israel hätte aus geheimdienstlichen Quellen klare Belege dafür erhalten, dass Iran kurz vor dem Bau einer Atombombe stünde. Der Angriff wurde dementsprechend als Präventivschlag, angesichts der seit Jahrzehnten formulierten Vernichtungsfantasien des iranischen Regimes gegenüber Israel, legitimiert. Historisch ist dieser erklärte israelische Präventivschlag kein Einzelfall, sondern die folgerichtige Konsequenz der sogenannten Begin-Doktrin, die der israelische Premierminister Menachem Begin 1981 nach der Zerstörung des irakischen Leichtwasserreaktors Osirak durch Israel verkündete. Das Völkerrecht kennt keine Präventivschläge, nur Verteidigungskriege: Die internationale Öffentlichkeit lehnte den Angriff 1981 als rechtswidrig ab und verabschiedete einstimmig eine entsprechende Resolution im UN-Sicherheitsrat. Als Israel dann unter Premierminister Ehud Olmert 2007 das Atomprogramm Syriens anzugreifen begann, zeigte sich die Situation schon anders – auffällig war vor allem die Abwesenheit jedweder internationaler Kritik.
Auch im Jahr 2025 sind sich Völkerrechtler*innen einig darin, den israelischen Angriff für klar rechtswidrig zu halten. Dieses Urteil ist in einer Zeit, in der das Völkerrecht jedoch nur noch subjektiv für die eigenen Verbündeten zu gelten scheint, einigermaßen unerheblich. Entsprechend einig sind sich die westlichen Regierungen in ihrem Beifall für einen Krieg, der wie immer zuallererst Zivilist*innen trifft.
Der Verlauf des jüngsten Krieges und insbesondere die Rolle der USA darin drängen eine weitere historische Parallele auf. 2002 trat der auch damals amtierende israelische Premierminister Benjamin Netanjahu vor dem US-Kongress als Sachverständiger auf und sagte aus, Saddam Hussein baue im Irak ein militärisches Atomprogramm auf. Nur ein Präventivschlag könne das verhindern und, Netanjahus Obsession mit Iran ist schon lange bekannt, womöglich eine Protestbewegung gegen das irakische Regime provozieren. US-Präsident George W. Bush entschied sich, die gegensätzliche Einschätzung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) und damit übereinstimmende CIA-Berichte zu ignorieren und Irak anzugreifen. Die Einschätzungen Netanjahus sollten sich schon kurz danach als gänzlich falsch herausstellen: Weder baute Hussein an einer Atombombe, noch ließ sich das irakische Volk durch Bomben zum Massenprotest gegen das Regime bewegen.
Diesmal entschied sich Netanjahu – nachdem er bislang vergeblich versucht hatte, vier US-Präsidenten von einem Angriffskrieg auf Iran zu überzeugen – das, was Friedrich Merz als »Drecksarbeit für uns alle« bezeichnete, selbst in die Hand zu nehmen, noch während die USA unter Trump über einen Deal zur nuklearen Abrüstung verhandelten. Statt Netanjahus Handeln als Affront gegen seine diplomatischen Bemühungen zu werten, entschied sich Trump für den tradierten Weg und wischte die Einschätzung der von ihm berufenen CIA-Leiterin Tulsi Gabbard, derzufolge vom Iran keine akute nukleare Bedrohung ausgehe, vom Tisch und trat an Israels Seite in den Krieg ein. Wie nah der Iran an einer Atombombe war, wird sich diesmal vermutlich erst in ferner Zukunft zeigen, da Iran nun verkündet hat, keinen Beobachter*innen mehr Zugang zu den Nuklearanlagen gewähren zu wollen.
Wie der Irak-Krieg als Präventivschlag gegen eine behauptete nukleare Bedrohung begann und in kürzester Zeit in einen Regime change umschlug, so verging auch nach dem Angriff auf Iran kaum eine Woche, bis man ankündigte, das iranische Staatsoberhaupt Ali Chamenei ausschalten zu wollen. Von diesem Ziel scheint Trump nun erst mal – wohl auch aufgrund von Druck aus dem eigenen Lager, war er doch als Friedenskandidat angetreten und gewählt worden – abgewichen; eine am 23. Juni von ihm verkündete Waffenruhe zwischen Israel und Iran scheint bislang zu halten. Kurz vor Bekanntgabe der Waffenruhe bombardierte Israel allerdings noch das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran, in dem zahlreiche iranische, aber auch internationale Oppositionelle unter grausamen Bedingungen inhaftiert sind. Wieder gab man an, das iranische Volk zum Protest bewegen zu wollen; eine merkwürdige Analyse in Anbetracht der Tatsache, dass man den Tod der Inhaftierten Oppositionellen billigend in Kauf nahm.
Dass Widerstand gegen ein Regime nicht durch Bomben zu initiieren ist, sollte auch die israelische Regierung verstanden haben – die Kriege in Afghanistan und im Irak sprechen da Bände. Bemerkenswert ist angesichts dessen ein offener Brief, bislang von mehr als 2.300 Israelis und Iraner*innen unterzeichnet (siehe kurzlinks.de/brief-iran), in dem gemeinsam ein sofortiges Einstellen der militärischen Aktivitäten gefordert wird. Den Iraner*innen droht bei Verdacht auf Zusammenarbeit mit Israel die Todesstrafe, schon jetzt häufen sich Berichte von Festnahmen und Exekutionen Oppositioneller durch Kräfte des Regimes. In diesen mutigen Menschen liegt die einzige Hoffnung auf einen Frieden im Nahen Osten; es liegt an uns, ihren Kampf in die westliche Öffentlichkeit zu rücken.