Zukunft der Erinnerung

geschrieben von Ulrich Schneider

6. Juli 2025

80 Jahre nach der Befreiung: Bücher zu Auschwitz auf der Leipziger Buchmesse

Unter dem Titel »Endstation Hoffnung – Il bibliotecario di Auschwitz, Überleben um jeden Preis?« veranstaltete der Salon-Literaturverlag auf der Leipziger Buchmesse eine Lesung, auf der Sandra Hubmann und Andrea Frediani die Zuhörer mit Auszügen aus Texten von Überlebenden und literarischen Verarbeitungen an die Tragödie Auschwitz heranführten.

Yves Kugelmann von der Jüdischen Medien AG Zürich nutzte unter dem Titel »Auschwitz. Hat Erinnerung eine Zukunft?«, so der Titel einer Sonderausgabe der Zeitschrift Aufbau vom Januar 2025 mit Beiträgen von Sibylle Berg, Robert Menasse, Anetta Kahane und Ari Folman sowie einer kuratierten Bildserie von Gerhard Richter, die Buchmesse, um die editorische Zukunft dieser 1934 in New York von deutsch-jüdischen Emigranten gegründeten Zeitschrift vorzustellen. Als neuer Herausgeber fungiert Michel Friedman (ehemals Frankfurter CDU-Politiker und Publizist). Chefredakteur Yves Kugelmann möchte mit dem inhaltlich und optisch modernisierten Magazin ein Forum für kritischen Diskurs, Pluralität und Demokratie schaffen.

Erinnerung ist das Thema von drei Büchern, die zum Thema Auschwitz auf der Buchmesse vorgestellt wurden. Zusammen mit dem Internationalen Auschwitz Komitee, dessen Vizepräsident Christoph Heubner ergänzende Texte beigefügt hat, präsentierte der Fotograf Juergen Teller eine eindrucksvolle und gleichermaßen verwirrende Sammlung von Fotos, die den heutigen Eindruck vom Stammlager Auschwitz I und dem Vernichtungsteil Auschwitz-Birkenau wiedergeben. Gezeigt wurden die Fotos im Göttinger Kunsthaus. Es sind keine erklärenden historischen Aufnahmen oder Überblicksfotos, sondern schockierende und gleichermaßen ansprechende Detailaufnahmen von Überresten der Blöcke und Baracken, der Massenmordmaschinerie samt Gaskammern und Öfen im Krematorium. Im Teil über das Stammlager dominieren Fotos aus den Ausstellungen, die in unterschiedlichen Blöcken eingerichtet sind. Vor Tellers Kamera kamen auch Alltagsbilder, die den heutigen Umgang mit diesem historischen Ort visualisieren. Es sind Fotos von Wegemarkierungen, Motiven im Postkartenständer oder der Hinweis auf Fast-Food außerhalb der musealen Einrichtung. Auffällig ist, dass auf den mehreren hundert Fotos erst am Ende Menschen zu sehen sind, zumeist Gruppen von jungen Leuten, die durch die Gedenkstätte begleitet werden. Eigentlich ein gutes Zeichen, dass dieser Ort auch künftigen Generationen etwas zu sagen hat. Teller selbst sagt über seine Fotos: »Wichtig war mir, dass ich nicht nur 30, 40, 50 dramatisch exzellente Fotos mache, sondern das widerspiegele, was dort ist.« Dieser Band hat nicht den Anspruch, Auschwitz zu erklären. Er visualisiert Empfindungen, die einen Besucher dieser Gedenkstätte erreichen können.

Einen Aufklärungsanspruch hat Susanne Willems, die anlässlich des Jahrestages gleich zwei Bände in der edition ost vorgelegt hat. Einen großformatigen Bildband »Auschwitz – die Geschichte des Vernichtungslagers«, dessen Besonderheit der optische Zugang durch Frank und Fritz Schumann darstellt. Anders jedoch als bei Juergen Teller dienen diese Fotos und historischen Reproduktionen in den 24 Abschnitten des Buches zur Illustration und Erläuterung der textlichen Aussagen. Da ein großformatiger Bildband eher ein fachlich interessiertes Publikum erreichen kann, entschied sich der Verlag, die inhaltlich erläuternden Texte von Willems in einer preiswerteren Paperbackausgabe für jüngere Leser unter dem Titel »Auschwitz – Terror, Sklavenarbeit, Völkermord« herauszugeben.

Wichtig war der Autorin nicht die vielfache Wiederholung bekannter Fakten zur industriellen Massenvernichtung und zum Horror von Auschwitz-Birkenau, sondern die Einordnung dieses Massenverbrechens in die faschistische Kriegs-ökonomie, zu deren wichtigsten Akteuren der IG-Farben-Konzern, der in Auschwitz-Monowitz ein eigenes Lager und eine Produktionsstätte betrieb, gehörte. Sie verdeutlicht, dass in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern Häftlinge als Arbeitssklaven der »Vernichtung durch Arbeit« ausgesetzt waren. Juden, die als nicht arbeitsfähig angesehen wurden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kinder und Greise, Kranke und Schwache, die nicht ausgebeutet, also »verwertet« werden konnten, wurden in den Gaskammern ermordet. Die Autorin zeigt die Planmäßigkeit des Terrors, der Sklavenarbeit und des Völkermords in Auschwitz. Von Bedeutung ist ihr in der Darstellung die angemessene Würdigung der Befreiung des Lagers durch die Einheiten der Roten Armee, was ihren Einstieg bildet und ein ausführliches Kapitel ausmacht.

Etwas knapp fällt dagegen in dem Kapitel »Konspiration und Revolte« die Darstellung der Rolle der Häftlinge, die sich gegen den Vernichtungsapparat zu wehren versuchten, aus. Für jüngere Leser wäre ein kurzes Kapitel zum Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963–1965 sicherlich erhellend gewesen. Insgesamt hat Susanne Willems ein verdienstvolles Überblickswerk zu einem komplexen Gegenstand für ein interessiertes Publikum vorgelegt.

Juergen Teller: Auschwitz Birkenau. Steidl Verlag, Göttingen 2025, 448 Seiten, 35 Euro          

80. Jahrestag schaffte Präsenz
Auch wenn der äußere Eindruck seit einigen Jahren durch die große Zahl an Comicfans und Cosplay-Figuren dominiert wird, ist die Leipziger Buchmesse im Frühjahr mit den zahllosen Veranstaltungen von »Leipzig liest ein Buch« und anderen Angeboten der Treffpunkt, auf dem gesellschaftliche Themen präsentiert und debattiert werden. Im 80. Jahr der Befreiung konnte es gar nicht anders sein, dass auch das Thema Auschwitz in verschiedenen Angeboten präsentiert wurde.

Susanne Willems: Auschwitz. Terror – Sklavenarbeit – Völkermord. Verlag edition ost, Berlin 2025, 288 Seiten, 22 Euro

Susanne Willems: Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers. Verlag edition ost, Berlin 2025, 256 Seiten, 38 Euro