Akt der Rückeroberung

geschrieben von ANPI Berlin-Brandenburg

6. September 2025

Pastasciutta antifascista: Erinnerung an den Sturz des Faschismus 1943 in Italien

Am 25. Juli feierte der Verein ANPI Berlin-Brandenburg das traditionelle antifaschistische Nudelessen zur Erinnerung an die berühmte Pastasciutta, die die italienische Familie Cervi den Einwohnern von Campegine in der Provinz Reggio Emilia nach der Absetzung und Verhaftung des Faschisten Benito Mussolini am 25. Juli 1943 anbot. Der König ernannte Marschall Pietro Badoglio zum neuen Regierungschef. Trotz des Sturzes des Faschismus ging der Krieg an der Seite der Deutschen weiter.

Die antifaschistische Familie Cervi erfuhr nicht sofort von Mussolinis Sturz, da sie auf den Feldern arbeitete. Auf dem Heimweg trafen sie jedoch zahlreiche feiernde Menschen. Obwohl sie wussten, dass der Krieg nicht wirklich beendet war, beschlossen sie, das Ereignis dennoch zu feiern – ein Moment des Friedens nach mehr als zwei Jahrzehnten faschistischer Diktatur. Sie besorgten Mehl, nahmen Butter und Käse auf Kredit aus der Molkerei und bereiteten Kilo um Kilo Pasta zu. Diese luden sie auf den Wagen und brachten sie auf den Platz in Campegine, um sie an die Dorfbewohner zu verteilen. Es wurde ein richtiges Fest.

Die von den Cervi auf dem Platz in Campegine verteilte Pastasciutta war nicht nur ein Fest, sondern auch ein symbolischer Akt der Rückeroberung des zentralen Ortes des gesellschaftlichen Lebens, der seit Jahren ausschließlich den Veranstaltungen der faschistischen Partei vorbehalten war. 1931 wurden Versammlungen von Menschen an öffentlichen oder allgemein zugänglichen Orten ohne Genehmigung des Questore1 verboten. Insbesondere waren alle politischen Treffen oder Zusammenkünfte untersagt, die als aufrührerisch gegenüber den Autoritäten erscheinen konnten. Bald wurde der Platz zu einem Ort der Parteifeiern: Dort hörte man die Reden des Duce, oder die Jugend nahm am »faschistischen Samstag« teil. Die Cervi eigneten sich diesen Raum – bewusst oder unbewusst – wieder an, indem sie die Pastasciutta fröhlich an die Bevölkerung von Campegine verteilten.

Ausgangspunkt der »Pastasciutta antifascista« heute ist das Institut Alcide Cervi in Italien. Rund um den 25. Juli wurden auch in diesem Jahr landesweit an über 250 Orten solche gemeinsamen Nudelmahlzeiten veranstaltet. Die Treffen werden nicht zentral gesteuert, sondern von lokalen Initiativen, Vereinen und Gruppen mit antifaschistischer Ausrichtung organisiert. Wer Teil des Netzwerks wird, verpflichtet sich, das Essen stets im Geiste von Antifaschismus, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit auszurichten. Ein zentraler Bestandteil ist zudem die Erinnerung an die Familie Cervi. Das Institut Alcide Cervi selbst stellt dafür digitale Materialien wie Videos und Vorlagen für Einladungen bereit.

»Bella ciao« ist ein Lied, das durch die italienischen Partisan:innen im Zweiten Weltkrieg populär wurde. Foto: ANPI Berlin-Brandenburg

»Bella ciao« ist ein Lied, das durch die italienischen Partisan:innen im Zweiten Weltkrieg populär wurde. Foto: ANPI Berlin-Brandenburg

Um die Geschichte dieser Familie und der sieben Brüder – die 1943 wegen ihres Antifaschismus erschossen wurden – nachzuzeichnen und die Werte des Widerstands auch über Italien hinaus zu bekräftigen, bereiteten die Freiwilligen von ANPI Berlin-Brandenburg während des Abends Pastasciutta zu und zeigten den Film »Genoeffa Cocconi: i miei figli, i fratelli Cervi« (»Genoeffa Cocconi: Meine Kinder, die Brüder Cervi«), der den Widerstand aus der Sicht der Frauen erzählt, durch die Augen von Genoeffa Cocconi, der Mutter der Brüder Cervi. Der Film bot eine grundlegende Perspektive auf den historischen und sozialen Kontext der Zeit: die Stellung der Frau, den Faschismus, die Kirche, den Widerstand, den Kampf für die Freiheit.

Die Veranstaltung fand in der Lucy-Lameck-Straße in Berlin-Neukölln statt, und so wurde die Gelegenheit genutzt, über den wichtigen Umbenennungsprozess dieser Straße 2021 zu sprechen. Die Straße war zuvor nach Hermann von Wissmann benannt, einem deutschen Kolonialoffizier, der für seine gewaltsame Unterdrückung in Ostafrika bekannt war. Lucy Lameck ist eine Schlüsselfigur im Einsatz für die Unabhängigkeit Tansanias und kämpfte auch als erste Frau in der Regierung ihres Landes für die Rechte der Frauen und für die panafrikanische Idee.

Wir leben in einer Zeit, in der die Sprache des Hasses, des Rassismus und des aggressiven Nationalismus die Oberhand gewinnt. Neofaschistische und reaktionäre Kräfte finden oft Legitimität in den Institutionen, im Geschichtsrevisionismus, im ständigen Angriff auf soziale und bürgerliche Rechte und auf das kollektive Gedächtnis. In diesem Kontext erhält unser antifaschistisches Engagement eine erneuerte Bedeutung: Es ist aktive Präsenz, fester Widerstand gegen jede Form von Unterdrückung und sozialer Ungerechtigkeit. ANPI Berlin-Brandenburg betonte, dass sich die Gräuel des Krieges nicht nur in der Vergangenheit verorten lassen, sondern dass sie jeden Tag vor unseren Augen sind: das Massaker am palästinensischen Volk in Gaza, der Versuch, ihm Nahrung, Wasser und humanitäre Hilfe zu entziehen. Es wurde die Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekräftigt – und mit allen Völkern, die Opfer von Krieg und Unterdrückung sind. ANPI Berlin-Brandenburg stellt sich gegen Aufrüstung, gegen militärische Eskalation, gegen Diskriminierung und kämpft für die Förderung einer Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit.