Arbeiterwiderstand und Lagerhaft
6. September 2025
Die biografischen Erinnerungen von Heinz Junge
Da die Zeitzeugen heute nicht mehr selbst sprechen können, sind Autobiografien, manchmal auch Video-interviews mit ihnen eine Möglichkeit, einen authentischen Eindruck der politischen Wirklichkeit von Verfolgung und Widerstand zu erhalten. Einer derjenigen, der sehr umfänglich seine Erfahrungen und Erlebnisse aus dieser Zeit niedergeschrieben hat, ist der Dortmunder Heinz Junge (1914–2004). Bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik politisch in den Reihen des kommunistischen Jugendverbandes aktiv, wurde er mit 18 Jahren zum ersten Mal verhaftet und von der SA, die als »Hilfspolizei« agierte, misshandelt. Um ihn »kleinzukriegen«, wie er selber schreibt, kam er im Herbst 1933 für kurze Zeit ins KZ Börgermoor (Emsland).
Zurück in Dortmund, organisierte er erneut eine Widerstandsgruppe. Wegen »Hochverrats« verhaftet und verurteilt, saß er im Jugendknast in Bochum. Nach seiner Entlassung ging er illegal in die Niederlande, wo er seit Herbst 1939 auf der Insel Vlieland mit anderen »feindlichen Ausländern« interniert war, bevor er mit dem deutschen Überfall im Westen erneut in die Fänge der Gestapo geriet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt wurde.
Mit dem Heranrücken der Roten Armee wurde er im Frühjahr 1945 auf Transport in das KZ Mauthausen geschickt, wo er im Mai 1945 im Außenlager Ebensee von den US-Truppen befreit nach Dortmund zurückkehren konnte. Bei diesem Weg der NS-Verfolgung war er mindestens dreimal in der Dortmunder Gestapo- und Polizeizentrale Steinwache, so dass er einer der wichtigen Zeitzeugen für diesen Verfolgungsort war.
Über jede einzelne dieser Stationen konnte Heinz Junge umfänglich berichten. Schon in den 1970er-Jahren begann er, Episoden seiner Erlebnisse mit einer Reiseschreibmaschine zu Papier zu bringen. Als gelernter Gärtner und langjähriger politischer Funktionär konnte er zwar die Inhalte überzeugend darstellen, jedoch waren ihm Chronologie und Sprachstil nicht so wichtig, wie sein Sohn Reinhard Junge, der diese Aufzeichnungen zu einem Buch zusammengestellt hat, im Vorwort schreibt. Dass es zwischen Verschriftlichung von Ereignissen und mündlichen Erzählungen bei Zeitzeugen oder im persönlichen Gespräch Unterschiede gibt, ist eine bekannte Tatsache, gleiches gilt für die Chronologie. Im Gespräch stört es Zuhörende in der Regel nicht, wenn sich der Berichtende in einem Datum vertut. In einer schriftlichen Fassung ist so etwas tunlichst zu vermeiden.

Heinz Junge: Ewig kann’s nicht Winter sein. Ein Leben im Widerstand. Hg. Reinhard Junge. 301 Seiten, mit s/w-Abb., PapyRossa-Verlag, Köln 2025, 301 Seiten, 22,90 Euro
Ein drittes Problem ergab sich bei den biografischen Notizen. Es hat nicht nur etwas mit der Erinnerung zu tun, sondern mit der Gewichtung von Ereignissen, wie umfangreich und detailliert der Zeitzeuge dazu berichtet. Auch entstehen Lücken in der Aufzeichnung, bei denen der Schreibende entweder erwartet, dass die Lesenden darüber bereits informiert sind, oder er dazu nichts sagen möchte. In diesen Fällen kam es Reinhard Junge sehr zugute, dass er bis zu dessen Tod viel mit seinem Vater und auch seiner Mutter Lore über die Ereignisse gesprochen hat, so dass er Lücken und Unklarheiten beseitigen konnte. Dennoch – und das ist ihm positiv anzurechnen – hat er nicht versucht, eine neue sprachliche Version der Erinnerungen zu verfassen, sondern man spürt die Authentizität des Schreibers Heinz Junge, insbesondere diejenigen, die, wie der Rezensent, Heinz noch persönlich kennengelernt haben.
Als Generalsekretär des Sachsenhausen-Komitees in der BRD war er vielfach als Zeitzeuge an Schulen und in Jugendgruppen. Daher nehmen diese Erinnerungen einen großen Umfang in diesem Band ein. Sie ergänzen damit die verschiedenen Berichte, die seine Haftkameraden ebenfalls veröffentlicht haben. Eine Besonderheit bilden seine Erinnerungen an die Zeit im niederländischen Exil und der Internierung auf Vlieland. Es klingt lustig, wenn er seine Schwierigkeiten mit der Sprache (»3x bellen«) schildert, aber es war natürlich ein gefährlicher Ernst, konspirativ von den Niederlanden aus den antifaschistischen Kampf im faschistischen Deutschland zu unterstützen. Dass die in diesem Buch verarbeiteten Texte durchaus unterschiedlicher Genese sind, zeigt auch das Abschlusskapitel »Der lange Weg zurück«. Es hat fast den Anschein einer Tagebuchaufzeichnung, die – mit dem Ende der faschistischen Verfolgung – nun wieder möglich wurde. Damit schildert dieser Text auch für heutige Leser*innen sehr authentisch die Alltagswirklichkeit des Frühjahrs 1945.
Nach der Lektüre bedauert man es etwas, nur wenig darüber zu erfahren, wie diese Biografie in der politischen Entwicklung der BRD weitergegangen ist. Dass Heinz und seine Frau Lore in den 1950er- und 1960er-Jahren mehrfach wegen ihrer politischen Überzeugung von der BRD-Justiz verfolgt wurden, wie er sich eingesetzt hat für die Bewahrung der Erinnerung an Widerstand und Verfolgung, für eine Gedenkstätte Steinwache oder als Generalsekretär des Sachsenhausen-Komitees. Alles das müsste noch erzählt werden. Für heutige Leser*innen liefern die Bilder und Hinweise auf den letzten Seiten, die einen knappen Ausblick auf diese Zeit geben, Impulse, sich mit diesem aufrechten Antifaschisten weiter zu beschäftigen.