Eine Mobilisierungsmaschine

geschrieben von Kerstin Köditz

6. September 2025

Die Freien Sachsen sind neben der AfD die größte Organisation der extremen Rechten im Freistaat

Die berühmte Dorfkneipe, der Treffpunkt des gesamten Ortes, ist eine aussterbende Gattung. In Förstgen, einem Dorf mit rund 150 Einwohnern, einem Ortsteil des sächsischen Grimma, gibt es allen Widrigkeiten zum Trotz noch immer den »Gasthof zu Förstgen«. Donnerstags war bis vor kurzem Schnitzeltag. Doch auch durch solche Angebote könnte die Wirtschaft nicht überleben, wenn es sich nicht um einen Familienbetrieb handelte.

Und noch einen zweiten Umstand gibt es, der das Weiterbestehen ermöglicht: Veranstaltungen im Saal des Gasthofes. Nicht die Feuerwehr, nicht der Gesangverein, nicht der Sportverein. Die AfD führt Versammlungen dort durch. Und vor allem die neo-nazistische Kleinpartei Freie Sachsen und deren Umfeld laden immer wieder in den »Gasthof zu Förstgen« ein.

Für den 15. August lud die »Freie Geburtshüterin Uta« zu einem Studienkreisabend ein. Thema: »Die 5 biologischen Naturgesetze. Die seelischen Ursachen der Krankheiten«. Der Verweis auf die »5 biologischen Naturgesetze« zeigt, dass es sich um eine Veranstaltung im Sinne der »Neuen Germanischen Medizin« von Ryke Geerd Hamer (1935–2017) handelt, einem Arzt, dem 1986 die Approbation wegen seiner unwissenschaftlichen, gefährlichen und widerlegten Methoden entzogen worden ist. Hamer wurde mehrfach verurteilt, war Antisemit und Verschwörungsideologe. Hinter seiner Anhängerin, der »Freien Geburtshüterin Uta«, verbirgt sich Uta Hesse, eine Hoch- und Tiefbautechnikerin. In ihrem Wohnort Mügeln im Nachbarkreis war sie führend bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, radikalisierte sich dabei und trat 2022 für die neonazistische Kleinpartei Freie Sachsen als Landratskandidatin im Kreis Nordsachsen an. Immerhin 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler wollten die bis dato politisch unerfahrene Frau in diesem Amt sehen.

Unterstützung im Wahlkampf erhielt Uta Hesse auch von Rainer Umlauft, einem inzwischen verstorbenen Parteivorstandsmitglied der Freien Sachsen. Umlauft kandidierte zur selben Zeit ebenfalls. Er wollte Oberbürgermeister von Grimma werden. Obwohl er sich mit Björn Höcke und dem regionalen AfD-Landtagsabgeordneten Jörg Dornau bei einer größeren AfD-Veranstaltung auf der Bühne präsentieren durfte, reichte es bei ihm nur für 6,32 Prozent. Immerhin: ein Achtungserfolg für den »rebellischen Koch«, der während der Corona-Krise auch Gäste bewirtete, die sich nicht an die Schutzregeln hielten.

Inzwischen sollen die im Februar 2021 gegründeten Freien Sachsen 1.200 Mitglieder zählen, sind somit nach der AfD die größte Organisation der extremen Rechten im Freistaat. Es handelt sich um eine typische Bewegungspartei, eine Mobilisierungsmaschine. Sie hat vom Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen profitiert und diesen gleichzeitig propagiert und gefördert. Dort, wo sie selbst noch nicht durch Personen vertreten war, wirkte sie über ein ausgebautes Netz von Telegram-Kanälen, die teilweise Abozahlen bis zu 150.000 erreichten. Nach dem Ende der Krise sattelten sie auf andere Themenfelder um: Inflation, die Bauernproteste, Windräder und natürlich das Friedensthema. Alles, was zum Ausbau des Einflussbereiches und zur Erschließung neuer Themen dienen kann, ist geeignet.

Das Konzept ist durchaus erfolgreich. 1.200 Mitglieder. Das bedeutet, dass die Freien Sachsen aktuell fast so viele Mitglieder haben wie die sächsische NPD in ihren besten Zeiten. Auch die 78 Sitze in Kreistagen, den Kreisfreien Städten und in weiteren Städten entsprechen annähernd denen der NPD in ihrer Blütezeit. Solche Zahlen sind durchaus geeignet, Druck von noch weiter rechts auf die AfD auszuüben. Bei der besteht zwar ein Unvereinbarkeitsbeschluss zu den Freien Sachsen, den allerdings kaum jemand ernst zu nehmen scheint. Wenn ein Landesvorsitzender wie Höcke sich gemeinsam mit Funktionären dieser Partei präsentiert, kann das als Freibrief verstanden werden. Auch in den Kommunalparlamenten stimmen die Freien Sachsen und die AfD in aller Regel gemeinsam. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Freien Sachsen nicht nur eine Mobilisierungsmaschine sind, sondern auch als Radikalisierungskatalysator für die AfD wirken. Mag auch die Forderung, das sächsische Königshaus künftig in die politischen Entscheidungen einzubeziehen, von den allermeisten Menschen belächelt werden, von den Parteimitgliedern kaum jemand an die Umsetzbarkeit des von der Partei geforderten »Säxit« glauben, die grün-weißen Fahnen mit dem Wappen des Königshauses kennen inzwischen die politisch Aktiven in der gesamten Republik. Ein relativ kleiner Personenstamm schafft es immer wieder, auch in Kleinstädten Hunderte auf die Straße zu bringen und Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Wundert es, dass das Friedensthema von den Freien Sachsen am intensivsten bedient wird? Dass sie alle Möglichkeiten einer Querfront vor Ort nutzen? Dass sie fest an der Seite Russlands und Putins stehen? Dass »Russische Abende« mit russischem Essen und russischer Propaganda veranstaltet werden? Natürlich nicht! Der Widerhall dieser Bemühungen in der Friedensbewegung ist gering. Noch. Aber es gibt ihn. Die Brandmauer? Es braucht sie natürlich auch hier. Die Devise »Mit Faschisten demonstriert man nicht«, ist ein sicherer Leitfaden.

Die Autorin ist erste Landessprecherin der VVN-BdA Sachsen e.V. und war bis 2024 in der Fraktion von Die Linke im Sächsischen Landtag.