Gefangenenbefreiung 1934

geschrieben von Detlef Grumbach

6. September 2025

Polizist Bruno Meyer wollte Etkar André und Fiete Schulze aus Naziknast holen

Im Juni 1935 wurde der Hamburger Widerstandskämpfer Fiete Schulze von den Nazis ermordet, ein Jahr später brachten sie auch Etkar André, damals Mitglied der Bürgerschaft, um. Beide haben in der antifaschistischen Erinnerungskultur Hamburgs prominente Plätze. Verbunden mit dem Schicksal der beiden Kommunisten ist aber ein weiterer Kämpfer, doch an ihn erinnert heute (fast) nichts: Bruno Meyer!

1929, mit 18, ist Meyer in die KPD eingetreten. Am 1. Januar 1931 begann er seine Ausbildung im Polizeidienst. Hier wollte er später das Abitur nachholen und Ethnologie studieren. Sein Traum war Afrika, er nannte sich »Simba, der Löwe«. Doch dann saß er fest bei einer Polizei, die seine eigenen Leute verfolgte. Er ging in den Widerstand. Als wachhabender Polizist im Untersuchungsgefängnis planten er und ein paar andere, Schulze und André aus der Haft zu befreien. Der Plan scheiterte damals, Meyer hat ihn teuer bezahlen müssen.

Rund 90 Jahre nach der Hinrichtung Fiete Schulzes haben die Hamburger Stiftung Gedenkstätten und Lernorte im Juli zusammen mit der Christian-Geissler-Gesellschaft an Bruno Meyer erinnert. Knapp 60 Besucher:innen sind in den voll besetzten Gedenkort Stadthaus gekommen. Aus den Akten der Gestapo und des sogenannten Volksgerichtshofs, Meyers Wiedergutmachungsakten und einer kurz vor seinem Tod entstandenen Tonbandaufnahme hat der Verfasser dieses Berichts die tatsächlichen Begebenheiten rekonstruiert. Außerdem hat Michael Weber aus einem Roman des bekannten linken Schriftstellers Christian Geissler gelesen. Denn Geissler hat Meyer schon 1976 ein literarisches Denkmal gesetzt – allerdings ohne seinen Namen zu nennen. Die Figur des Polizisten Leo Kantfisch in »Wird Zeit, dass wir leben« ähnelt ihrem Vorbild bis ins Detail. Geissler und Meyer waren an dem Abend auch in beeindruckenden Originaltönen zu hören.

Christian Geissler: Wird Zeit, dass wir leben. Verbrecher Verlag, Berlin 2013, Nachwort von Detlef Grumbach, 358 Seiten, 22 Euro

Christian Geissler: Wird Zeit, dass wir leben. Verbrecher Verlag, Berlin 2013, Nachwort von Detlef Grumbach, 358 Seiten, 22 Euro

Geisslers Roman erzählt von den Kämpfen der Hamburger KPD Anfang bis Mitte der 1930er-Jahre: Streiks, Arbeitskämpfe und Straßenschlachten mit der SA, die Landvolkbewegung gegen die erdrückenden Steuern im Hamburger Umland. Durch die gesamte Handlung zieht sich die Frage, ob die KPD den Kampf gegen die Nazis auch mit der Waffe führen soll oder nicht. Die Figur des KPD-Funktionärs Schlosser vertritt die offizielle Linie der Partei – gegen die Waffen. Leo Kantfisch alias Bruno Meyer steht auf der anderen Seite. Als Schlosser verhaftet wird, fasst er seinen Plan. Er »entwaffnet« die Wachmannschaften im Untergeschoss, indem er ihren Munitionsnachschub entwendet, fertigt Wachsabdrücke der Schlüssel an und kundschaftet die Arbeit der Wachen, die Lage von Stromleitungen und Alarmanlagen aus. Geissler erzählt dies alles eng an der Realität, aber Literatur lebt auch vom Konjunktiv: Was wäre, wenn …? In »Wird Zeit, dass wir leben« geht der Plan des Polizisten auf. Ironie der Geschichte – ausgerechnet Schlossers Widersacher holen ihn aus dem Gefängnis.

Bruno Meyer war in der Vorbereitung der Gefangenenbefreiung 1934 weit fortgeschritten, doch dann wurde seine Mitstreiterin Christa Rom im Prozess gegen Robert Abshagen mitangeklagt. Sie konnte aus Deutschland fliehen. Meyer selbst wurde von einem Spitzel verraten, Anfang 1935 verhaftet, zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und danach ins KZ Sachsenhausen überführt. Von dort wurde er mit dem Strafbataillon Dirlewanger an die Ostfront geschickt. Erst 1950 kehrte er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Hamburg zurück. Sofort nahm er seine Arbeit in der KPD wieder auf und wurde Sekretär der Landesleitung, bis er – ausgerechnet am 8. Mai 1952 – im Rahmen der stalinistischen Säuberungen seiner Funktion enthoben und zur »Bewährung an die Basis« geschickt wurde: Er hatte der Absetzung des KPD-Vorsitzenden Fiete Dettmann widersprochen. Auszüge aus NS-Akten, aber auch aus dem Protokoll der KPD-Landesleitung, wurden im Stadthaus gezeigt.

Bruno Meyer, 1976. Foto: KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

Bruno Meyer, 1976. Foto: KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

Bruno Meyer hat später – mit sehr wenigen Ausnahmen – nicht über seinen Befreiungsversuch gesprochen. Kaum jemand wusste von ihm, weswegen er im KZ war. Sein mutiger Plan blieb lange eine Fußnote in der VVN-Broschüre »Fiete Schulze oder das Dritte Urteil« (1971). Immerhin lag eine militante Aktion wie die von ihm geplante nicht auf der Linie der Partei. Die erneute Illegalität seit 1956 und später das betont legalistische Auftreten der DKP luden ebenfalls nicht dazu ein, Meyer als Helden zu feiern. Auch darüber wurde auf der Veranstaltung gesprochen. Dass Leo Kantfisch im Roman erfolgreich war, lehnte Bruno Meyer – wohl auch vor dem Hintergrund der Befreiung Andreas Baaders und der Aktivitäten der RAF in den 1970er-Jahren – entschieden ab. Es kam zum Bruch zwischen Geiss-ler und Meyer. Wohl deshalb hat Geissler die Spur zu ihm im Roman auch verwischt. Zuletzt hat Meyer im Kuratorium der Gedenkstätte Ernst Thälmann mitgearbeitet. Im November 1983 ist er gestorben. Es bleibt Geisslers Roman.

christian-geissler-gesellschaft.de