Handeln und Denken

geschrieben von Maria Krüger

6. September 2025

Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Es gab Zeiten, da war der Name Anna Seghers in der Bundesrepublik jedem vertraut. Nicht zuletzt deshalb, weil es einen jahrelangen breit rezipierten öffentlichen Streit gab, ob man Anna Seghers in Mainz zur Ehrenbürgerin ernennen dürfe oder nicht – eine Ehrung, zu der man sich erst 1981 durchringen konnte. Allein dieser Skandal im Umgang mit der wohl profiliertesten deutschsprachigen antifaschistischen Schriftstellerin führte dazu, dass ihre Werke, obwohl sie seit der Rückkehr aus dem mexikanischen Exil in der DDR gelebt hat, auch im Westen auf großes Interesse stießen.

Geboren am 19. November 1900 als Annette Reiling in Mainz, studierte sie in Köln und Heidelberg, wo sie 1924 mit einer Dissertation über »Jude und Judentum im Werk Rembrandts« promovierte. 1925 heiratete sie den ungarischen Sozio-logen László Radványi, mit dem sie zwei Kinder hatte. Schon 1924 wurde ihre erste Erzählung veröffentlicht. Dennoch hatte sie es als Schriftstellerin in der Weimarer Zeit schwer, Anerkennung zu finden. 1928 erschien ihr erstes Buch »Der Aufstand der Fischer von St. Barbara« unter dem Pseudonym Anna Seghers. Für ihr Erstlingswerk erhielt sie auf Vorschlag von Hans Henny Jahnn noch im selben Jahr den Kleist-Preis, die damals höchste literarische Auszeichnung. Als Begründung lobte die Jury ihre »kraftvolle, männliche Sprache«. Schon in der Weimarer Zeit gehörte sie dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller an und engagierte sich gegen den Vormarsch der Nazis mit ihren literarischen Mitteln.

Wenige Wochen nach der Machtübertragung an die Nazis floh sie über die Schweiz ins französische Exil, wo sie in Paris Redaktionsmitglied der Neuen Deutschen Blätter wurde und 1935 eine der Gründerinnen des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller. Die Bedingungen des Exils verarbeitete sie literarisch in dem 1944 veröffentlichten Roman »Transit« (siehe Spalte).

Anna Seghers, 1966. Foto: Wikimedia Commons

Anna Seghers, 1966. Foto: Wikimedia Commons

Schon in ihrem wohl bekanntesten Roman »Das siebte Kreuz«, 1942 in den USA erschienen und bereits 1944 vom Oscarpreisträger Fred Zinnemann verfilmt, schildert sie die Haltung und Gefühlslage im faschistischen Deutschland in den 1930er-Jahren. Aus dem Lager Westhofen, für das das frühe KZ Osthofen das historische Vorbild lieferte, entfliehen sieben politische Häftlinge. Der Kommandant ergreift alle Maßnahmen, um diese Häftlinge wieder zu fassen und auf dem Appellplatz – zur Abschreckung der Mithäftlinge – ans Kreuz zu binden. Sechs werden nach einiger Zeit gefasst, das siebte Kreuz bleibt leer, auch deshalb, weil es Menschen ganz unterschiedlicher politischer Überzeugung und gesellschaftlicher Stellung gab, die dem Flüchtenden geholfen haben. Damit drückte der Roman literarisch das aus, was im politischen Konzept der breiten antifaschistischen Volksfront mündete.

Eigentlich alle Texte von Anna Seghers beschäftigten sich mit dem Faschismus und seinen Auswirkungen auf das Handeln und Denken der Menschen. 1934 veröffentlichte sie in Prag die Erzählung »Der letzte Weg des Koloman Wallisch«, 1935 erschien in Paris der Roman »Der Weg durch den Februar«. Darin schildert sie den Kampf der österreichischen Antifaschisten gegen den Austrofaschismus und die Dollfuß-Diktatur. Es ging darum, ob es einen Ausweg aus dem internationalen Vormarsch der faschistischen Kräfte geben könnte.

1949 begann eine Trilogie zur deutschen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gründungsphase der DDR. Den ersten Teil bildete der Roman »Die Toten bleiben jung«. In einer dreigleisigen parallelen Handlung schildert sie die proletarische, die kleinbürgerliche und die großbürgerliche Perspektive auf die deutsche Geschichte dieser Zeit, indem sie die handelnden Protagonisten sich an verschiedenen Schnittstellen treffen lässt und ihre Entscheidungen und Beweggründe literarisch verdeutlicht. Dieser Roman, 1968 von Defa-Regisseur Joachim Kunert eindrucksvoll verfilmt, lässt für Lesende spürbar werden, dass politische Entwicklungen nicht nur »von außen« auf die Handelnden einwirken, sondern dass jeder Einzelne seinen konkreten Beitrag zur Geschichte leistet. Es folgten die beiden Romane »Die Entscheidung« (1959) und »Das Vertrauen« (1968), in denen Seghers ihre Sicht auf die komplizierte Aufbauphase der DDR, aber auch ihre solidarische Haltung zum antifaschistischen Staat zum Ausdruck brachte. So war sie auch von 1952 bis 1978 Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbands.

Interessanterweise war Anna Seghers, die sich doch immer in der männlich dominierten Gesellschaft durchbeißen musste, keine ausgesprochene Feministin, obwohl sie oftmals Frauen in ihren Texten zu Protagonistinnen machte, wie in der Erzählung: »Aufstellen eines Maschinengewehrs im Wohnzimmer der Frau Kamptschik«. Für sie war die Befreiung der Frau nur denkbar als Teil der Befreiung der Gesellschaft von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung.

Sie starb am 1. Juni 1983 in Berlin, Hauptstadt der DDR.

»Transit«: Empathische und sensible Geschichte

Der Text stellt eher eine Art von Fragmenten dar, wurde mehrfach filmisch adaptiert, zuletzt 2018 von Christian Petzold. Er lebt von der Atmosphäre der Stadt Marseille im damals noch nicht besetzten Frankreich, wo Flüchtlinge mit der Hoffnung auf ein Transitvisum mit allerlei Menschen, die durch den faschistischen Krieg entwurzelt wurden, aufeinanderstießen. Es ist eine empathische und sensible Geschichte, deren Ausgang weniger wichtig ist als die hierin geschilderten Erfahrungen der Protagonisten.

Termine:

Frankfurt am Main:

– Anna Seghers125 – Lesung, Podiumsgespräch, 20. Oktober, 19–21 Uhr, Haus am Dom, mit Helga Neumann (Akademie der Künste, Berlin), Claudia Carbrera (Übersetzerin, Mexiko), Bettina Kaminski (Schauspielerin) und Claus-Jürgen Göpfert (Moderation)

Berlin:

– Anna-Seghers-Museum der Akademie der Künste, Anna-Seghers-Straße 81. Geöffnet dienstags und donnerstags. 10–16 Uhr, 2025 öffnet es jeden ersten Sonntag im Monat von 11–16 Uhr. Führungen: 11, 13 und 15 Uhr

– »Transit«, BE, Bertolt-Brecht-Platz 1, Premiere 5. November, Werkraum. Regie: Marie Schwesinger.