Patriarchat-Ultras

geschrieben von Muerbe u. Droege

6. September 2025

Sogenannte Kulturkämpfe oder auch Gesinnungstheater von rechts

Im Internet kursieren zunehmend Videos, die die Kunst der Moderne und zeitgenössische Kunst diskreditieren. Aus ihrem Kontext gelöste Ausschnitte von meist Performancekunst werden aneinandergereiht und ableistisch(1) kommentiert. Beliebt sind auch Beiträge von Influencer*innen, die in Museen vor abstrakter Kunst stehen und diese kommentieren, als wäre sie der Dreck unter ihren Fingernägeln.

Das ist rechte Propaganda mit dem Inhalt: diese Kunst ist doof, peinlich, nutzlos – weg damit. Verbreitet wird sie von automatisierten Accounts, KI-Fanatiker*innen sowie jenen gegenüber Kultur und Demokratie skeptischen Teilen der Bevölkerung, die sich, wie das Medienkollektiv »Total Refusal« treffend formuliert, z.B. »auf Facebook, oder in Telegram-Gruppen wie in digitalen Rebellenlagern zusammengeschlossen haben«

Die Grundlage dafür ist ein Geschäftsmodell, in dessen Aufmerksamkeitsökonomie Herabsetzung eine Top-Strategie ist, um Klicks und Likes zu bekommen. Vermeintliche Anonymität, gemischt mit dem Prinzip affektiver Polarisierung, lässt uns in Beiträgen und Kommentarspalten eine Eskalation der Entmenschlichung erleben.

Es sind verschiedene Fronten, an denen diese extrem rechten Kulturkrieger*innen ihre Kämpfe austragen. Religiöse und ethnische Minderheiten, People of Colour und Schwarze Menschen, Frauen und Queers, Menschen mit Fluchterfahrung und andere marginalisierte Gruppen: sie alle sind Objekte des Hasses und Gegenstand des politischen Projekts der extremen Rechten und nun auch der radikalisierten Konservativen (2) – zusammengenommen könnten wir sie auch als Patriarchat-Ultras bezeichnen. Ihre reaktionäre Solidarität (3) bedient sich des »Otherings«, der Problematisierung der bloßen Koexistenz mit anderen. Der Kulturkampf (4) ist also nicht nur ein kulturelles Problem, sondern ein zutiefst politisches Projekt. Ein Zeichen des neofaschistischen Aufschwungs, der den weißen heterosexuellen Mann als Marken-zeichen der Menschheit fetischisiert und dessen Vorherrschaft mit enormer Brutalität auf Kosten der geschlechtlichen, ethnischen und religiösen Vielfalt zu erhalten versucht.

Die liberale Marktdemokratie führt, trotz aller gegenläufiger Beteuerungen, weltweit zum sozialen, ökologischen und ökonomischen Kollaps. Ihre Praxis wird bestimmt durch der Schutz von Investor*innen, Märkten und Banken. Die Menschen mit ihren lebenserhaltenden Sozialsystemen werden gezwungen zurückzustecken. Das geht so weit, dass wir heute vor der Frage zu stehen scheinen, ob die Rettung des Planeten eine lohnende Investition ist. Gerade deshalb darf nicht jeder Typ, der sich erfolgreich an digitaler Ausbeutung beteiligt, zum »kulturpolitischen Vordenker« ernannt werden.

Genderverbote, Racial Profiling, Grenzkontrollen, digitale Überwachungstechnologien, übergangene Gerichtsbeschlüsse, stetige Normalisierung von Polizeigewalt, massive Militarisierung: all das wird von etablierten Parteien umgesetzt, während sie sich selbst als Brandmauer gegen das extrem rechte Projekt bezeichnet. Dabei wird, zum Beispiel beim GEAS (5), direkt bei rechten Denkfabriken abgeschrieben. Diese Art Einwanderungsgesetze richten sich immer gegen andere. Es ist eine Illusion, den »Anderen« gegenüber extrem rechts sein zu können und sich selbst gegenüber fortschrittlich-liberal. Das führt zu einer Normalisierung extrem rechter Politik in allen Lebensbereichen.

Wir brauchen keine Kulturkämpfe, sondern kulturellen und politischen Widerstand gegen extrem rechte Ideologien und gegen ihre schnelle Normalisierung. In dieser Aneinanderreihung polarisierender Pseudoereignisse, gibt es für Sozialdemokrat*innen, Linke, Liberale oder wen auch immer nichts zu gewinnen, sie ist der Vorhof der Demagogie und geistiger Endbahnhof. Es ist überhaupt nicht erstaunlich, dass rechte Abrisskommandos ihre Scharmützel gerne gegen Kunst und Kultur führen, denn diese sind nicht nur Symbole einer offenen, demokratische Gesellschaft – in diesen Sphären wird sie gelebt.

Zeitgenössische Kunst verhandelt immer mehr soziale, politische, aber auch geopolitische Inhalte und hat sich seit der Moderne ein großes Repertoire an künstlerischen Strategien und kulturellen Positionierungen angeeignet, die in der Lage sind, über eine gewaltinfizierte Gegenwart zu sprechen, Ungerechtigkeiten und Traumata aufzuarbeiten und dabei Ideologien zu transzendieren.

Die 13. Berlin Biennale (6) ist ein gutes Beispiel: Sie ist Künstler*innen gewidmet, die unter widrigsten Umständen arbeiten. Von Auszügen aus dem Gartenbuch der Dadaistin Hannah Höch, die sich und die Kunstwerke ihrer Generation in ihrem berliner Schrebergarten vor den Nazis versteckte, zu den Zeichnungen die Htein Lins, mit einfachsten Mitteln im burmesischen Gefängnis angefertigt, zeugen sie von der Brutalität des Gefängnis-alltags aber auch von der Kraft des Vorstellungsvermögens.

Diese Kunstwerke erinnern uns daran, nicht klein beizugeben. Sie erzählen davon, dass das Gegenteil von Vernichtung nicht Rettung ist – sondern Ausdauer, Kreativität und transformative Solidarität.

1 Diskriminierung wegen einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung

2 Mehr dazu bei Natascha Strobl, z. B. in »Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse«, 2021

3 Zum Thema Kultur und Solidarität empfehlen wir die aktuelle Ausgabe der Kunstzeitschrift Springerin:
springerin.at/155 sowie die Ausgabe springerin.at/2024/2 zum Thema Kulturkämpfe

4 Der Begriff selbst verweist auf Samuel P. Huntingtons »Kampf der Kulturen« (Clash of Civilisations), seit Jahrzehnten ein wichtiger Kompass der Rechten

5 Gemeinsames Europäisches Asylsystem

6 Die 13.Berlin Biennale kuratiert von Zasha Colah und Valentina Viviani steht unter dem Motto »das Flüchtige weitergeben«; bis 14. September 2025; 13.berlinbiennale.de/de/