Von der Dorfcommunity und für sie
6. September 2025
Der Debütfilm »Rote Sterne überm Feld«. Ein Gespräch mit der Regisseurin Laura Laabs
antifa: Euer Spielfilm stellt das mecklenburgische Dorf Bad Kleinen in den Mittelpunkt der Betrachtung des Nationalsozialismus, der Wende 1989/90 und der Verwerfungen der Gegenwart. Aus der Perspektive der Örtlichkeit und der ansässigen Familien werden die Zeitebenen miteinander verwoben. Der Fund einer Moorleiche erinnert an die ungelösten Widersprüche der Vergangenheit. Wer war das? Vielleicht einer der euphorischen Jungs, die zur Wehrmacht wollten; der Chef der abgewickelten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) oder ein V-Mann, der beim Mord am RAF-Mitglied Wolfgang Grams 1993 auf dem Regionalbahnhof dabei war. Es geht um ostdeutsche Identität, um historische Brüche und Kontinuitäten. Worum geht’s euch bei dieser Mischung aus Krimi, politischer Satire, Familiendrama und poetischem Essay?
Laura Laabs: Es geht um die Frage, welche Gespenster der Vergangenheit uns heute heimsuchen. Aber das wird ganz konkret an einem Mecklenburger Dorf erzählt, entlang seiner Geschichten, seiner Bewohner, der Menschen vom Land in der Post-Ost-Gegenwart. Das lässt sich nicht so einfach in ein Genre pressen, aber vielleicht trifft der Begriff »Heimatfilm« in seiner ganzen Ambivalenz hier zu. Es ist ein Film von der Dorfcommunity und für sie.
Beim Filmkunstfest in Schwerin kamen viele Menschen aus der Umgebung, auch solche, die sonst nie ins Kino gehen. Es gab sogar mehrere Sondervorführungen, weil der Andrang so groß war. Diese Geschichten vom Dorf werden kaum erzählt, viele Menschen haben das Gefühl, sowieso nicht gemeint zu sein, wenn es um »die Gesellschaft« geht. Aber gesellschaftliche Teilhabe ist auch narrative Teilhabe. Deswegen ist so ein Film wichtig. Bis zum Kinostart werden wir auch noch eine Dorftour mit mobilem Kino machen, um ihn dort zu zeigen und zu diskutieren, wo es keine Kinos mehr gibt und oft auch keine Diskussion.
Das hört sich jetzt so an, aber wir haben keinen Nachwende-Film über den Abriss der DDR gemacht. Es geht uns vielmehr um diesen Haufen von Verheerungen, den Geschichte darstellt. Ein Geschichtsbild, das sich dem Fortschrittsglauben verweigert und mit Walter Benjamin im Gepäck nach ungeklärter, ungesühnter, weiter wirksamer Vergangenheit fragt.
DDR, Faschismus, RAF und der Verlust des Sozialismus wirken in den Menschen, Familien und Orten weiter. Der Kampfplatz um Geschichtsbilder und die Aufarbeitung ist die Gegenwart. Das hat die Rechte sehr wohl verstanden und ist stetig dabei, umzudefinieren, zu verleumden und zu verharmlosen. Dafür wollten wir Bewusstsein schaffen. Und dafür mussten wir auch radikal in den Stilmitteln sein.
antifa: Zu Beginn des Films werden von der fiktiven Gruppe »Ästhetische Linke« auf dem Reichstag rote Fahnen gehisst. Ein Akt des Terrorismus, weil die Nationalflagge als Herrschaftssymbol so offen verhöhnt wird. Die Aktion gibt den Takt vor für weitere gesellschaftspolitische Fragen an die Gegenwart. Wie kommt Veränderung in die Welt?
L. L.: Anders als die Rechten betreiben wir keinen Kulturkampf, sondern machen radikale Angebote, die symbolischen Ordnungen, die unsere Realität bestimmen, zu hinterfragen. Im Film sind es die Windräder, als Symbole des sogenannten grünen Kapitalismus. Sie stehen für das Versprechen, dass wir weiterleben und wirtschaften können wie bisher, solange wir dafür Ökostrom verwenden. Sie sind beliebt, weil sie unser Gewissen beruhigen. Die Wahrheit ist aber, dass der kapitalistische Wachstumsgedanke nicht nachhaltig zu haben ist. Ich finde es eine reizvolle Rolle der Kunst, gerade die Symboliken herauszufordern, auf die sich alle einigen können. Deswegen kippt das Windrad bei uns am Ende in den Acker. Die Realität hat uns in dieser Hinsicht mehrfach eingeholt, weil die Produktion des Films lange dauerte. Die Idee hatten wir 2016, gedreht wurde 2022, und im Januar 2025 kamen wir auf die Festivals. Im März 2024 verübte die Vulkan-Gruppe einen Anschlag auf die Stromversorgung der Gigafabrik von Tesla im Brandenburger Sand – mit einem ziemlich poetischen Bekennerschreiben, dass durchaus an unsere »Ästhetische Linke« erinnert.
antifa: Habt ihr Tipps für die politische Arbeit, die sich aus dem Film ableiten lassen?
L. L.: Tatsächlich haben wir ein kleines Folgeprojekt zu Meinungsvielfalt in Bad Kleinen gemacht. Trotzdem haben fast 50 Prozent die AfD gewählt. Ich denke trotz aller symbolischer Rebellion bestimmt das Sein immer noch das Bewusstsein – man muss die Menschen nicht erziehen, die Verhältnisse müssen sich ändern. Und trotzdem finde ich die Frage wichtig, welches utopische Angebot unsere Gegenwart noch machen kann.
Rote Sterne überm Feld, ab 6. November im Kino. 133 Min. Fotos: farbfilm-verleih.de
Laura Laabs ist Regisseurin und Schriftstellerin. Für » Rote Sterne überm Feld« war sie für die Regiearbeit und das Drehbuch zuständig.
Das Gespräch führte Nils Becker.