Zentrale Bausteine
6. September 2025
Queerfeindlichkeit und der Kampf gegen Sexualforschung im Nazireich und heute
Queeres Leben ist unter Beschuss: Die AfD hetzt, ihre Fußsoldat*innen und die neuen Stiefelnazis greifen Christopher-Street-Day-Paraden an. Wo die Faschist*innen und andere Reaktionäre bereits an der Macht sind – siehe Italien, USA, Ungarn – werden die Rechte queerer Menschen beschnitten. In Deutschland plant das Bundesinnenministerium eine Speicherung und Weitergabe der Daten zum früheren Geschlechtseintrag von Trans- und nicht-binären Menschen.
Auch wenn die Lage sich aktuell verschärft, ist all das nicht neu. Homo- und Queerfeindlichkeit waren zentrale ideologische und politische Bausteine des deutschen Faschismus. Bisher stand die Verfolgungsgeschichte homosexueller Männer im Vordergrund, die nach Paragraf 175 verurteilt wurden – auch vor und nach der politischen Herrschaft des Nationalsozialismus. 5.000 bis 15.000 Männer verschleppten die Nazis aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Homosexualität ins KZ. Zehntausende weitere wurden in Zuchthäusern inhaftiert, zwangskastriert oder in den Suizid getrieben.
Leerstellen in der Forschung
Weniger beachtet waren lange die Schicksale lesbischer, trans-, inter- und a-geschlechtlicher Menschen während der NS-Zeit. Das liegt zum einen an der teils bis heute anhaltenden Leugnung queerer Existenzen. Zum anderen ist deren Diskriminierung und Verfolgung im NS tatsächlich schlechter dokumentiert oder wurde anders begründet. So wurden Transfrauen zum Beispiel auch als vermeintliche Homosexuelle verfolgt und lesbische Frauen als »Asoziale« stigmatisiert.

Magnus Hirschfeld (1868–1935)
Er war Arzt, Sexualwissenschaftler und Pionier der Homosexuellenbewegung sowie der Erforschung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Er leitete das Institut für Sexualwissenschaft bis zu dessen Zerschlagung 1933 und gab von 1899 bis 1923 die Zeitschrift Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen heraus. Foto: Wikimedia Commons
Eines der ersten Ziele der Nazis nach der Machtübertragung 1933 war das weltweit bekannte Institut für Sexualwissenschaft unter Leitung des jüdischen Arztes Magnus Hirschfeld. Hirschfeld und das Institut waren Vorreiter in der Erforschung von Homo- und Bisexualität, Inter- und Transgeschlechtlichkeit sowie eine Anlaufstelle und kulturelles Zentrum für queere Menschen im Berlin der Weimarer Republik. 1930 wurde am Institut eine der ersten geschlechtsangleichenden Operationen an Lili Elbe durchgeführt, heute bekannt durch das Buch »The Danish Girl« und dessen Verfilmung.
Als homosexueller und jüdischer Mann war Hirschfeld lange vor der Machtübernahme im Fadenkreuz der Nazis und anderer extremer Rechter der Weimarer Zeit. 1920 überlebte er einen Mordanschlag durch unbekannte Täter nach einem Vortrag in München. Der zeitweilige Chefredakteur der NS-Propagandazeitschrift Völkischer Beobachter Hansjörg Maurer kommentierte den Angriff 1921: »Wenn sich das Volksbewußtsein etwas unsanft äußert, wie bei Magnus Hirschfelds Besuch in München, so ist das eher ein erfreuliches Zeichen dafür, daß das Gesunde sich selbsttätig sträubt gegen Ungesundes, das es nicht an sich herankommen lassen will« (Maurer 1921: »§ 175. Eine kritische Betrachtung des Problems der Homosexualität«). Die Hetze gegen Hirschfeld und das Institut kulminierte am 6. Mai 1933, als Studenten und SA das Institut plünderten. 10.000 Werke der Institutsbibliothek wurden bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin vernichtet.
Aufflammender Hass
Dass jener Hass heute wieder aufflammt, ist kein Zufall. Sexuelle Selbstbestimmung, geschlechtliche Fluidität und das Aufbrechen tradierter Rollenbilder sind für die Nazis von damals und heute Ausdruck eines allgemeinen Sittenverfalls und Kennzeichen der verhassten liberalen Moderne, in der – zumindest dem Anspruch nach – jede*r ihre*seine Persönlichkeit frei entfalten könne.
Der (vermeintliche) Zerfall rigider Geschlechterrollen bedroht die hegemoniale Männlichkeit, sowohl gesellschaftlich-politisch als auch in der Psyche der Individuen. Der männliche Herrschaftsanspruch, der immer Teil faschistischer Bewegung ist, wird durch das Aufweichen der tradierten Geschlechterordnung infrage gestellt. Im nicht-heterosexuellen Begehren und Abweichen von der Cis-Geschlechtlichkeit blitzen außerdem Momente der Freiheit auf, die den faschistischen Subjekten längst abtrainiert wurde. Diejenigen, die sich dieser Zurichtung scheinbar entziehen, dürften eigentlich nicht existieren, müssen aber zumindest für die Abweichung von jenen Normen bestraft werden, unter denen man selbst meist unbewusst leidet. Insofern spielt die Zerstörung der Institutsbibliothek in der Bücherverbrennung eine zentrale Rolle. Die wissenschaftlichen Spuren, die auf eine befreite Sexualität jenseits von Heteronormativität und eine Geschlechterordnung jenseits der Binarität hindeuten, mussten »ausgemerzt« und als »undeutsch« markiert werden.
Daher ist es umso wichtiger, heute mit Nachdruck an die Verfolgung queerer Menschen im deutschen Faschismus zu erinnern. Zum einen, um das lange vernachlässigte Gedenken an die Opfer wachzuhalten. Zum anderen, weil die Nazis von heute zur gleichen Hatz ansetzen. Aus der Geschichte lernen heißt auch, CSDs und queeres Leben überall zu verteidigen und jeder staatlichen Gängelung der LGBTQI*-Community eine Absage zu erteilen.
Links zum Thema
- arolsen-archives.org/dossiers/die-geschichte-queerer-personen-in-deutschland/
- magnus-hirschfeld.de/netzwerk/
veranstaltungen/mordanschlag/ - kurzlinks.de/geo-sexualfor
- queer.de/detail.php?article_id=37223
- arolsen-archives.org/dossiers/anderssein-verboten/erinnern-an-auschwitz/
- bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/275892/queere-geschichte-und-der-holocaust/
- kurzlinks.de/petition-trans
- kurzlinks.de/transregister
Der Autor ist neuer Referent für Social Media und Pressearbeit der VVN-BdA.