Banalität des Männlichen
9. November 2025
Manon Garcia analysiert die bedrückende Normalität sexualisierter Gewalt im Pelicot-Prozess
Der Fall ging international durch die Medien und machte Gisèle Pelicot für den Ausspruch »Die Scham muss die Seite wechseln« zu einer feministischen Ikone. Über viele Jahre hat ihr Mann sie unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und sie online anderen Männern angeboten. Diese Taten filmte und dokumentierte er. Mehr als 80 weitere Männer beteiligten sich an dieser Form der Vergewaltigung, 50 von ihnen konnten identifiziert und im Gerichtsverfahren von Mazan im Jahr 2024 verurteilt werden.
Gisèle Pelicot forderte einen öffentlichen Prozess, auch wenn dies zur Folge hatte, dass die Zeugnisse der Gewalt gegen sie öffentlich gezeigt wurden. Manon Garcia, aktuell Professorin an der Freien Universität Berlin und eine der bekanntesten zeitgenössischen Philosophinnen Frankreichs, hat diesen Prozess beobachtet und verbindet ihre persönlichen Eindrücke mit der Analyse von sexualisierter Gewalt als Herrschaftsmittel im Patriarchat.
Der Vergleich mit dem von Hannah Arendt analysierten Prozess gegen Adolf Eichmann wird von Manon herangezogen, um die Normalität der angeklagten Männer darzustellen. Arendt hatte in »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen« über den Prozess gegen Eichmann, der die Vertreibung und Deportation der europäischen Jüd_innen mitverantwortete, geschrieben, dieser sei ein »normaler Mensch« gewesen, ohne tiefer greifendes Motiv oder die Fähigkeit, sein Verhalten zu reflektieren. Ähnlich beschreibt Manon die Angeklagten im Pelicot-Prozess – diese entstammen allen gesellschaftlichen Schichten, sind unterschiedlichen Alters, verheiratet, haben Kinder oder leben allein und zeigen den Querschnitt der französischen Gesellschaft. Sie alle eint die mangelnde Selbstreflexion in Bezug auf die Vergewaltigungen und ihr Unwissen über ihre eigene Schuld. Die Täter reden sich heraus, begründen ihr Verhalten damit, dass sie dachten, es sei ein erotisches Spiel zwischen Ehepartnern – obwohl Körperhaltung und Schnarchen von Gisèle Pelicot offensichtlich waren.

Manon Garcia: Mit Männern leben. Überlegungen zum Pelicot-Prozess. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 195 Seiten, 20 Euro
Die Erschütterung über das »Trümmerfeld der männlichen Sexualität« wird von Manon Garcia eindrücklich beschrieben, wenn sie zum Beispiel darüber schreibt, wie sie nach dem Plädoyer seines Anwalts kurzzeitig Mitgefühl für einen der Angeklagten empfand – und dann weinend das Video sieht, auf dem dieser Gisèle Pelicot vergewaltigt. Das Offensichtliche: Dominique Pelicots Videosammlung hatte den Titel »Missbrauch« und die Obszönität der Videotitel, die diese wie Pornos wirken lassen, obwohl jedes einzelne eine Gewalthandlung darstellt.
Manon schreibt über ihre Überlegungen – anders als in Hannah Arendts Bericht –, zeigt die Offenheit ihrer Gedanken und gibt Einblick in das, was der Prozess mit ihr macht – emotional, gedanklich, körperlich. Das Buch zu lesen transportiert schonungslos den Schmerz, die Verzweiflung über das, was alltäglich verdrängt werden muss, um mit Männern zu leben. Männern, denen es nicht um Sexualität geht, sondern um Macht. Männliche Anwälte, die die Gewalt erotisieren. Männliche Journalisten, die einen solchen Gerichtsprozess begleiten und mit denen es nichts macht, die Angeklagten und Videos zu sehen. Dieses Buch zu lesen tut weh und ist doch so viel wertvoller als jede theoretische Annäherung an patriarchale Unterdrückung.
























