Brückenbau nach rechts
9. November 2025
Zusammen für den Frieden? Die Demos am 3. Oktober in Berlin und Stuttgart
Die Initiative »Nein zum Krieg – Die Waffen nieder!« hatte für den 3. Oktober zu zwei bundesweiten Versammlungen in Berlin und Stuttgart aufgerufen, an denen jeweils mehrere tausend Personen teilgenommen haben. Was als friedenspolitische Manifestation angekündigt war, entpuppte sich zum wiederholten Male auch als Schaulaufen der verschwörungsideologischen Szene. Begeistert zeigte sich die seit mehreren Jahren in diesem Spektrum aktive Selale Behiye Matschie in einem Videobeitrag von Michael Bründel (»Freedom Parade«) nicht nur aufgrund der hohen Teilnehmendenzahl: »Ich glaube der Brückenbau könnte, wenn das so weitergeht und wir auf diesen Friedenszug aufsteigen, richtig gut klappen. Hier sind Leute zusammengekommen mit denen wir sonst nicht zusammen laufen würden.«
Gemeinsame Bündnisarbeit
Matschie und Bründel nahmen als Vertreter*innen des »Bündnisses für Frieden« zusammen mit etwa 200 bis 300 weiteren politisch Nahestehenden und rechten Aktivist*innen sowie einem eigenen Lautsprecherwagen an der Versammlung in Berlin teil. Dieses Bündnis wurde von Akteur*innen der sogenannten Coronaproteste im Oktober 2022 gegründet, um angesichts schwindender Teilnehmendenzahlen an den eigenen Versammlungen neue Themen und Bündnispartnerschaften zu erschließen. Durchaus erfolgreich war diese Strategie, weil die Friedenskoordination Berlin sich diesem protesterfahrenen Milieu geöffnet hat, und bereits im April 2023 erstmals gemeinsam der lokale Ostermarsch organisiert wurde. Eine ähnliche Zusammensetzung zeigte sich bei der Versammlung in Stuttgart. Auch hier nahmen Vertreter*innen der rechtsesoterischen Kleinstparteien »dieBasis« und »Menschliche Welt« ebenso Teil wie die aus den Coronaprotesten enstandenen verschwörungs-ideologischen und rechten »Querdenken«-Gruppierungen.

Foto: Block des verschwörungsideologischen »Bündnisses für Frieden« am 3. Oktober bei der Demo in Berlin. Foto: AK gegen Antisemitismus in der Berliner VVN-BdA
Bei diesen gemeinsamen Aufzügen von friedensbewegten, linken oder auch gewerkschaftlichen Initiativen mit verschwörungsideologischen und rechten Protagonist*innen handelt es sich jedoch nicht mehr nur um Einzelfälle. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer Strategie der Öffnung in alle politischen Spektren, die insbesondere von Vertreter*innen des Vorbereitungskreises zum 3. Oktober bereits seit Jahren verfolgt wird. Relevant für diese Entwicklung ist u.a. der langjährige Aktivist Reiner Braun. Schon ab 2014 war er darum bemüht, eine Kooperation mit den antisemitischen, verschwörungsideologischen und extrem rechten »Mahnwachen für den Frieden« einzugehen. Haben diese u. ä. Versuche immer wieder auch mehr oder weniger lautstarke Kritik aus Teilen der Friedensbewegung hervorgerufen, sucht Braun unbeirrt die Nähe zu diesem Spektrum. Er war mehrfach Referent bei »dieBasis« und 2024 u. a. als Podiumsteilnehmer mit der früheren Linke-Politikerin Christiane Reymann und dem »Querdenken«-Gründer Michael Ballweg auf dem sogenannten Friedenskongress »Frieden und Dialog« im thüringischen Liebstedt vertreten.
Fehlende Auseinandersetzung
Auch aufgrund dieser beschriebenen Tendenzen in weiten Teilen der Friedensbewegung dürfte die Teilnahme dieser Zusammenschlüsse an den Versammlungen in Berlin und Stuttgart wenig überraschend gewesen sein. Entsprechende Gruppierungen haben sich ganz offen und einsehbar an der Mobilisierung beteiligt. Auch in den Gremien der VVN-BdA zeigte sich ein höchst unterschiedliches Bild: Während sich der Bundesausschuss mit knapper Mehrheit bei seiner Sitzung im September gegen einen Aufruf zu den beiden Demonstrationen entschieden hatte, kündigten mehrere Landes- und Kreisvereinigungen ihre Teilnahme an. Ähnlich aufgeladen ist die Lage auch bei ATTAC.
Der AK gegen Antisemitismus in der Berliner VVN-BdA (siehe instagram.com/akga_berlin) formuliert es in einem offenen Brief deutlich: »Sich allein auf Emotionen und einen moralisch nicht angreifbaren Standpunkt des abstrakten Friedens zu begeben, mag als individueller Antrieb ausreichen, um gemeinsam mit Reaktionären unterschiedlicher Couleur auf die Straße zu gehen – mit einem emanzipatorischen Antifaschismus hingegen hat dies nichts zu tun!« Die ausbleibende Thematisierung und fehlende Intervention linker und emanzipatorischer Gruppen gegen diese reaktionären Zusammenschlüsse legitimiert nicht nur entsprechenden Protagonist*innen, sondern trägt auch zur Normalisierung ihrer Narrative bei. In der strategischen Auseinandersetzung gilt es wahrzunehmen, dass sich ein erheblicher Teil der Friedensbewegung zur Zusammenarbeit mit rechten und verschwörungsideologischen Akteur*innen entschieden hat – eine neue und tatsächlich auch beunruhigende Entwicklung.
























