Dokumentation der Antifadebatten
9. November 2025
Ein umfangreiches Lesewerk über Strategien, Konflikte und Selbstverständnis der autonomen Bewegung
Innerhalb weniger Jahre ist die AfD bundesweit zur zweitstärksten Partei geworden, in manchen Bundesländern zur stärksten. Zugleich ist die Antifabewegung oft zersplittert und in strategischen Fragen uneinig. Vor diesem Hintergrund ist dieser Doppelband ein wichtiger Versuch, die Diskussionen der letzten zehn Jahre innerhalb der autonomen Antifabewegung zu dokumentieren. Das Werk versteht sich als »Werkzeug« für die Weiterentwicklung antifaschistischer Praxis, nicht als Theorieproduktion. Die Bände versammeln Texte aus Medien wie AIB, Lotta, Interim oder Autonomes Blättchen. Sie spiegeln den Stand einer Strömung wider, die sich bewusst in Distanz zu Parteien, Staat und reformistischen Großorganisationen organisiert. Dass hier also die Perspektive der autonomen Antifa im Mittelpunkt steht, ist Teil des Konzepts. Viele der Texte setzen sich mit Repression und Kriminalisierung auseinander. Die Prozesse um das »Antifa-Ost-Verfahren« und den Budapest-Komplex werden mehrfach aufgegriffen. Besonders berührend ist ein Beitrag über die Kooperation zwischen Angehörigen von Inhaftierten und Autonomen – ein selten beleuchteter Aspekt der Solidarität, der an verlorenes Wissen linker Geschichte erinnert.
Daneben finden sich Beiträge, die Organisierungs- und Bündnisfragen diskutieren: Wie breit müssen Allianzen sein, wenn Faschisierung droht? Wie lässt sich Politik im ländlichen Raum gestalten? Hier bieten etwa Berichte über Antifa-»Kaffeefahrten« nach Sachsen oder über Widerstand in Brandenburgs Provinz spannende Einblicke. Einen besonderen Akzent setzen rund 50 Seiten mit Texten von 1929 bis 1937, vor allem aus anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenhängen. Diese frühe Analyse der sich abzeichnenden Faschisierung eröffnet produktive Bezüge zur Gegenwart – etwa angesichts aktueller rechtsoffener Bauernproteste.

Anonym (Hg.): bis alle frei sind. Antifa-Debatten zu Staat, Patriarchat und drohendem Faschismus. Zwei Bände, Immergrün-Verlag, Berlin 2025, 913 Seiten, 28 Euro
Natürlich sind nicht alle Beiträge gleich überzeugend. Einige kürzere, anonyme Texte bleiben inhaltlich vage oder kreisen stärker um Befindlichkeiten. Doch gerade die Vielfalt, auch der Widersprüche, macht den Wert dieser Sammlung aus: Sie dokumentiert eine Bewegung, die sich selbst befragt, streitet, tastet – und damit lebendig bleibt. Die beiden Bände zeigen so nicht nur deren desolaten, sondern auch den diskussionsfreudigen Zustand. Sie laden ein, sich selbst ein Urteil zu bilden – und die Debatten weiterzuführen, die hier festgehalten wurden.
























