Leistung statt Teilhabe
9. November 2025
Die rechte Vision von Schule
»Wir müssen das Bildungssystem von Ideologieprojekten befreien«, sagte Björn Höcke schon 2023 im Sommerinterview mit dem MDR und nannte als Beispiel unter anderem das Thema Inklusion. »Das sind alles Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen«, fuhr Höcke fort.
Das Zitat sagt viel aus über die Weltsicht und das Menschenbild des Thüringer Landesvorsitzenden der AfD. So stellt er Schule nicht als einen Ort dar, an dem junge Menschen fürs Leben lernen, sondern der sie »leistungsfähiger machen« soll. Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung, sieht er in diesem Zusammenhang offenbar als Hemmnis für ein erfolgreiches Trimmen der Jugend auf Weiterkommen und Leistung.
Höcke liegt damit ganz auf Parteilinie. Im Grundsatzprogramm der AfD findet sich zu Menschen mit Behinderung nur ein einziger Satz: »Wir wollen keine ideologisch motivierte Inklusion ›um jeden Preis‹. Die AfD setzt sich für den Erhalt der Förder- und Sonderschulen ein.«
Was die Partei hier als »ideologisch motiviert« darstellt, ist nichts anderes als die Umsetzung der von 192 Staaten ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (BRK). In dieser heißt es zum Thema Bildung, dass die Vertragsstaaten sicherstellen sollen, dass »Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen« werden. Die AfD stellt sich also aktiv gegen den Konsens der internationalen Staatengemeinschaft.
Der von der Partei geforderte Erhalt der Förderschulen ist laut Deutschem Institut für Menschenrechte nicht mit der BRK vereinbar. Über 70 Prozent der Förderschüler*innen verlassen die Schule ohne anerkannten Abschluss. Die meisten von ihnen werden direkt weitergereicht in das System der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die aufgrund ökonomischer Ausbeutung selbst in der Kritik stehen. Statt zur Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt führt das System also nur von einer Sonderstruktur in die nächste.
Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderung kritisieren diese Praxis seit Jahren und weisen immer wieder darauf hin, dass Deutschland in diesem Bereich zu wenig unternimmt. Mehr Inklusion jedoch würde Investitionen nötig machen, zu denen wenig Bereitschaft zu bestehen scheint. Dieser fehlende Willen der demokratischen Parteien, das zu tun, was für tatsächliche Inklusion und Teilhabe nötig wäre, sorgt für einen für niemanden zufriedenstellenden Istzustand, der zu Recht Unmut auf sich zieht, an den wiederum die AfD anknüpfen kann.
Bildung ist in Deutschland Sache der Bundesländer und eignet sich daher besonders für den Landtagswahlkampf. Das hat die AfD bereits früh erkannt und bespielt das Thema seit vielen Jahren, wie das Beispiel Sachsen-Anhalt zeigt. Die nächste Wahl dort findet im September 2026 statt. Aktuell liegt die AfD bei 39 Prozent und damit in Schlagdistanz zu einer absoluten Mehrheit.
Zuletzt stellte die Fraktion im Oktober einen Antrag, der die Schulen des Landes zu »Neutralität« verpflichten sollte. Dabei ging es ihr zwar vor allem darum, Kritik an ihrer eigenen extrem rechten Ideologie zu unterbinden. Da sie aber Inklusion selbst für ideologisch motiviert hält, wäre, wenn der Antrag nicht von allen anderen Parteien abgelehnt worden wäre, auch diese betroffen gewesen. Bereits 2016 bezeichnete Hans-Thomas Tillschneider im Landtag Inklusion als »Gesellschaftsexperiment« und behauptete, von ihr profitiere niemand. »Förderschulen sind das Beste, was wir für behinderte Kinder tun können«, so Tillschneider.
Damit stellt sich die AfD nicht nur gegen die BRK und die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung, sondern auch gegen die Mehrheit der Lehrer*innen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage befürworten 62 Prozent der Lehrkräfte Inklusion an Regelschulen. Bei denjenigen, die selbst Erfahrung damit haben, sind es sogar 69 Prozent. Eine ältere Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass rund drei Viertel der Eltern mit Kindern an Schulen mit inklusivem Lehrangebot positive Erfahrung mit dem gemeinsamen Lernen machen.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn das heißt auch, dass ein Drittel der Lehrkräfte und ein Viertel der Eltern Inklusion zumindest in ihrer heutigen Form ablehnen. Genau hier versucht die AfD anzudocken, indem sie die Teilhabe von Schüler*innen mit Behinderung als Nachteil für »normale« Kinder und Jugendliche darstellt. Sie wählt dabei ganz bewusst den Begriff der Normalität und setzt damit genau den rechten Kulturkampf fort, den sie auch gegen queere und trans Menschen führt.
Die Normalität, die die AfD meint, bedeutet Ausgrenzung und Abwertung für weite Teile der Bevölkerung, die nicht in ihre im Kern auf Sozialchauvinismus, Rassismus und eugenischem Denken basierende Vorstellung einer vermeintlich homogenen Volksgemeinschaft passen. Der Einsatz für Inklusion und Teilhabe – an den Schulen und darüber hinaus – muss daher integraler Bestandteil jedes ernsthaften Antifaschismus sein.
























