Zweimal falsch abgebogen

geschrieben von Roland Röder

9. November 2025

Erinnerungen an zwei Saar-Abstimmungen vor 70 und 90 Jahren

»Gebt den Franzosen das Saarland zurück«, skandierten St.-Pauli-Fans bei den Spielen ihres Vereins in den 2000er-Jahren schon mal im Saarbrücker Ludwigspark. Die Aussage ist zwar historisch falsch, weist aber in die richtige Richtung. Das heutige Saarland gehörte nach dem Ersten Weltkrieg nicht zur Weimarer Republik und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zu Westdeutschland. Beide Male wurde es wegen der kriegswichtigen Kohlegruben und der Stahlindustrie von Deutschland abgekoppelt, als eine der Maßnahmen, um dessen Kriegsfähigkeit zu beschneiden. Aber zweimal entschieden sich die Saarländer:innen für Deutschland: 1935 für Nazideutschland und 1955 für Westdeutschland. Und damit verwarfen sie zweimal die politisch wie ökonomisch bessere Variante der Zukunft. Beide Wahlkämpfe waren hochgradig von Nationalismus geprägt.

1933–1935: Zwei Jahre gegen Hitler

Vor der ersten Saar-Abstimmung vom 13. Januar 1935 stand das Saargebiet als ein Ergebnis des Versailler Vertrages unter dem Mandat des neu gegründeten Völkerbundes. Diesem hatte das Deutsche Reich für 15 Jahre seine Souveränitätsrechte über diese ökonomisch wichtige Grenzregion zu Frank-reich abgetreten. Bis 1933 bestand keine Kontroverse über den Wiederanschluss an die Weimarer Republik. Eine Debatte entstand erst, nachdem Hitler zum Kanzler ernannt worden war. Dies lag daran, dass SPD, KPD und das katholische Zentrum im Saargebiet nicht verboten waren und sich die Berichte über die Gräueltaten der Nazis häuften. Für deren Verbreitung waren auch Schriftsteller:innen und internationale Beobachter wichtig. Zum Teil flohen sie vor den Nazis und machten auf dem Weg ins französischen Exil Station im noch relativ freien Saargebiet.

In diesem »deutschen« Landstrich entwickelte sich eine politische Konstellation, die die Kämpfe in der Weimarer Republik zum Teil konterkarierte: Es kam zu einer Einheitsfront zwischen SPD und KPD unter Einschluss von Teilen des (politischen) Katholizismus. Prägend für die SPD war der aus Neuss stammende Max Braun (1892–1945), der als Weltbürger Lichtjahre vom Blaumannkult seines Parteimilieus entfernt war. Für die KPD übernahm diese Rolle Fritz Pfordt (1900–1957) und für das katholische Lager der konservative Journalist Johannes Hoffmann (1890–1967), der nach dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle spielen sollte. Die Abstimmung am 13. Januar 1935 ging für die Einheitsfront, die für den Status quo votierte, verloren: 90 Prozent stimmten für den Anschluss an (Nazi-)Deutschland (»Deutsche Mutter – heim zu dir« lautete einer der Wahlkampfslogans), neun Prozent für den Status quo und 0,4 Prozent für Frankreich.

Der Sozialdemokrat Max Braun widersprach nicht nur mit seinem Eintreten für die Einheitsfront im Saargebiet der Linie des Prager Exilvorstandes der SPD, sondern auch 1936, als er als einer der wenigen Sozialdemokraten dazu aufrief, auf Seiten der Spanischen Republik gegen den Faschismus zu kämpfen. Er überlebte im Londoner Exil und kam kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch einen Unfall ums Leben. Fritz Pfordt brach nach den Stalinschen Säuberungen und dem Hitler-Stalin-Pakt mit der Parteilinie und überlebte den NS in Schweden.

1955: SPD und CDU waren verboten

Das Saargebiet war seit 1946 politisch autonom und gehörte wirtschaftlich zu Frankreich. Ministerpräsident war der Katholik und Nazigegner Johannes Hoffmann, der aus dem brasilianischen Exil zurückkam. Eine Besonderheit war, dass die prodeutschen Parteien CDU und SPD verboten waren. Stattdessen gab es zwei antideutsche Parteien, die Sozialdemokratische Volkspartei Saar (SPS) unter Richard Kirn und die Christliche Volkspartei Saar (CVP) unter Johannes Hoffmann. Die meiste Zeit bildeten sie bis 1955 eine Koalitionsregierung, die einen proeuropäischen Kurs verfolgte. Jahrelang hatten sie eine satte Mehrheit, was daran lag, dass es den Menschen im Saargebiet ökonomisch besser ging als denen in Westdeutschland. Die Mehrheit kippte kurz vor der Wahl durch zwei Faktoren: das Wirtschaftswunder in der BRD und einen nationalistischen Wahlkampf, bei dem Heinrich Schneider von der DPS (Demokratische Partei Saar, die später mit der FDP fusionierte), der aus seiner Nazivergangenheit keinen Hehl machte, auf die nationalistische Karte setzte und Johannes Hoffmann und Richard Kirn als Emigranten diffamierte.

Das Ergebnis war klar, 67 Prozent lehnten das europäische Saarstatut ab und votierten für den Anschluss an die BRD. Allerdings: Hätten nur Frauen abgestimmt, wäre das Saarstatut angenommen worden. Während heute an Johannes Hoffmann und an Max Braun kleinere Straßen und Plätze erinnern, erinnert an Fritz Pfordt und an Richard Kirn öffentlich nichts. Kurios war das Verhalten der KPS (Kommunistische Partei Saar): Sie votierte für den Anschluss an die BRD, obwohl dort bereits das KPD-Verbotsverfahren lief. Nach 14 Jahren endete 1959 mit der »kleinen Wiedervereinigung« der saarländische Sonderweg.

Der Autor ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar (a3wsaar.de).