Mit Recht gegen rechts
21. Januar 2021
Report zu rechten Tendenzen in Justiz und Behörden
Wenn Richter*innen sexistische Beleidigungen aus der untersten Schublade als sachliche Auseinandersetzung bezeichnen, mag man schon an der Einschätzungsfähigkeit der Justiz zweifeln. Mit ihrem Strafverfolgungswillen in Sachen rechter Gewalt scheint es ebenso nicht weit her zu sein: So warten Betroffene von rechten Angriffen in Chemnitz seit zwei Jahren darauf, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Dies sind nur zwei Beispiele aus dem Ende Oktober erschienenen Report »Recht gegen rechts«. Der Sammelband soll von nun an jährlich erscheinen und die erstarkenden rechten Tendenzen insbesondere in Gerichtssälen und Amtsstuben offenlegen. Dazu sind 47 Beiträge in den Themenfeldern Demokratiefeindlichkeit, Rassismus, Neonazis, Rechtsterrorismus, Sexismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit, Antisemitismus, Revisionismus und Hatespeech zusammengetragen worden. Ein umfangreiches und wichtiges Unterfangen.
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Alle Fälle, die bis zum Druck des Buches im letzten Jahr für Aufregung gesorgt haben, sind in dem Sammelband nachzulesen und mit einer juristischen Einschätzung versehen. Außerdem bitten die Herausgeber*innen um die Einsendung von Fällen, die nicht so bekannt, aber thematisch passend sind, um die Gesamtlage der Justiz so vollständig wie möglich darstellen zu können. Dabei sind die Beiträge verständlich geschrieben und offensichtlich nicht an ein akademisches Publikum, sondern eine engagierte Zivilgesellschaft gerichtet. Sehr hilfreich sind die Aktenzeichen und Quellenangaben zu den jeweiligen Verfahren am Schluss eines jeden Beitrags. Interessierte können so selbst noch einmal nachschauen.
Die Herausgeber*innen wollen sich mit ihrem Band dem Kampf um den Rechtsstaat widmen. Zugleich fordern sie von der Öffentlichkeit, sich in dieser Auseinandersetzung mehr zu engagieren. Denn die »Rechte pflegt sich als bürgerlich, als konservativ, als Hort der Mitte zu repräsentieren.« So kann sie sich auch auf Seiten des Rechtsstaats stellen, obwohl sie seinen Entstehungsgrund damit ins Gegenteil verkehrt. Rechtsstaat und Demokratie gehören zusammen. Und in diesem Zusammenspiel wirken sie gegen Autoritarismus und exekutive Willkür.
Der Band zeigt, dass Recht und eben auch der Rechtsstaat politisch umkämpfte Felder sind, und dass die rechtskonservative Gedankenwelt beide bestimmen will. So wurde beispielsweise die Gynäkologin Kristina Hänel aufgrund des neuen Kompromisses zum Werbungsverbot für Schwangerschaftsabbrüche freigesprochen, nach dem neuen Gesetz jedoch vom Landgericht Gießen gleich wieder verurteilt, wie im Beitrag von Anne-Marlen Engler zu erfahren ist. Im Text von Mohamad El-Ghazi wird deutlich, dass Recht allein nicht hilft: Die Gauland Rede vom Nationalsozialismus als »Vogelschiss« in der deutschen Geschichte hat für viel Empörung gesorgt. Juristische Folgen blieben aber aus. Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt, da mehrere Deutungen der Aussage möglich sind und Gerichte diese wohlwollend auslegen sollen. Die Entscheidung ist nach der juristischen Konstruktion des Tatbestands wohl alternativlos.
Eindeutigkeit nicht zu erwarten
Vom Rechtsstaat eine eindeutige Positionierung gegen rechts zu erwarten, ist eine optimistische, liberale Hoffnung. Obwohl er staatliche Gewalt begrenzen und dem Schutz des Individuums dienen soll, ist der Staat kein simples politisches Instrument. Der Sammelband zeigt, wie widersprüchlich Recht politisch wirkt und wie sehr die Rechtsprechung immer zwischen den politischen Konflikten manövriert. Die bürgerliche Demokratie und das bürgerliche Recht waren immer schon widersprüchlich und zumeist eher auf der rechten Seite. Mit ihrer Forderung nach einer wachen Öffentlichkeit vernachlässigen die Herausgeber*innen etwas die materiellen Vor-aussetzungen für den Zugang zum Recht. Wer den Rechtsstaat für sich proklamieren kann, war schon immer eine Klassenfrage. Selbstverständlich kann man den bürgerlichen Rechtsstaat nicht allein den Rechten überlassen; hier ist der Liberalismus gefragt. Aber zu viel sollte man von diesem Kampf gegen Windmühlen nicht erwarten. Im Epilog des Buches unterstreichen die Herausgeber*innen selbst, dass der »rechten Offensive auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegenzutreten« ist. Politische Konflikte werden in der politischen Arena ausgefochten, nicht im Gerichtssaal.
Mit dem Band wird eine politisch sensible Chronik der Rechtsprechung versprochen, die zeigen kann, wie sich der gesellschaftliche Rechtsruck auf die Justiz auswirkt. Das ist mindestens für die juristische Zeitgeschichte relevant, gerade auch in der historischen Rückschau auf die Weimarer Republik.