Sand in unsere Augen
24. Januar 2021
Blick auf die Menschenrechte in Frankreich
»Bei dem Besuch seines ägyptischen Amtskollegen vermied Macron allzu scharfe Kritik an der Menschenrechtslage am Nil«, schrieb die Neue Zürcher Zeitung am 7. Dezember zum Treffen zwischen den beiden Staatspräsidenten in Paris. Die Menschenrechtslage war ohnehin kein Thema bei der Zusammenkunft. Schließlich war die Unterzeichnung von Verträgen über Lieferungen französischer Rüstungsgüter vorgesehen.
Polizeigewalt
»Sprechen Sie nicht von Polizeigewalt, denn -dies ist inakzeptabel in einem Rechtsstaat«, rüffelte Macron in einem Arte-Beitrag vom 30. November Journalisten und offenbarte damit sein eigentümliches Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit. Das private Mitfilmen von Polizeiarbeit, so die offizielle Bezeichnung, soll nun per Gesetz verboten werden. Begründung: Es behindere die Arbeit der Beamten. Ein Beispiel, wie Videos über Polizeigewalt diese eindrücklich dokumentieren, war da gerade ein halbes Jahr her: Nach dem Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd Ende Mai 2020 bekundeten bei den »Black Lives Matter«-Aktionen in den USA neben hunderttausenden Demonstranten viele Polizisten, dass sie mit rassistischer Polizeigewalt nicht einverstanden sind. Doch aus Frankreich kamen auch andere Sig-nale: So gab es Meldungen über Gendarmen, die vor dem Polizeipräsidium in Paris ihre Dienstmarken niederlegten, weil man ihnen den Würgegriff verboten hatte.
Berüchtigt sind in Frankreich die Einsätze der CRS (compagnies républicaines de sécurité), eine Art kasernierte Bereitschaftspolizei. In den Reihen der CRS gibt es einen hohen Teil an Neonazis und anderen Rechten. Ihre Haupteinsatzgebiete sind Wohngegenden mit einem hohem Anteil schwarzer und/oder muslimischer Menschen am Rande der Großstädte. Traurige Berühmtheit erlangte der Polizeieinsatz im Pariser Arbeitervorort Mantes-la-Jolie am 6. Dezember 2018. Dort wurden 148 Mittelschüler festgehalten, weil sie mehr Lehrerstellen forderten. Einen ganzen Tag lang mussten sie auf einem Schulhof kniend, die Hände hinter dem Kopf oder mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt, auf eine Wand starren.
Der zweite Haupteinsatzschwerpunkt der CRS sind Demos. Die Polizei überlässt dabei die Gewalt-eskalation nie dem Zufall. CRS-Truppen warten in Nebenstraßen auf ihren Einsatz. Agents provocateurs, gut beschützt von »gradés«, den höheren Beamten in Zivil, geben den Auftakt. Demonstranten werden gejagt, Tränengas, Gummigeschosse, Gummiknüppel kommen zum Einsatz. Liest man dann die Berichte der großen, bürgerlichen Zeitungen, ist fast ausschließlich von Ausschreitungen auf Seiten der Demonstranten die Rede.
Pressefreiheit
Pressefreiheit gibt es in Frankreich im Grunde genommen gar nicht, denn sie ist weder in der Verfassung noch in der Praxis verankert. Im Namen der Republik verschleiert oder verschweigt ein Großteil der Medien aus nationalistischer Hingebung die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Dazu passt die enge Verschmelzung von Staat und Medien. Zudem kontrollieren in Frankreich zumeist branchenferne Konzerne die Medienlandschaft – beispielsweise aus der Rüstungsindustrie. Einzig die Meinungsfreiheit, über Politik zu schmunzeln, verleiht Karikaturen in Frankreich ein bizarres Alleinstellungsmerkmal. So kommt es, dass Charlie Hebdo zum Leuchtturm der Meinungsfreiheit werden konnte.
Rassismus im Namen der Republik
Überaus prägend war der Antisemitismus des früheren Front National von Jean-Marie Le Pen. Heute ist es der antimuslimische Rassismus im Rassemblement National seiner Tochter Marine. Als man beispielsweise bei einigen Gelbwesten antisemitische Tendenzen bemerkte, waren Macron und Le Pen sofort dabei, ihren vermeintlichen Kampf gegen Antisemitismus medienwirksam in Szene zu setzen. Der Antisemitismus verliert im Land durch diese Heuchlerei von rechts nichts an Bedeutung. Die Feindschaft gegenüber Juden hat im Land weiterhin ein besorgniserregendes Ausmaß und auch fürchterliche Gewalttaten zur Folge.
Durch jeden neuen islamistischen Terroranschlag wird das Feuer der Feindschaft gegenüber dem Islam und muslimischen Menschen in Frankreich neu geschürt. Unter dem Vorwand des Laizismus (Trennung von Kirche und Staat), im Namen des »Kriegs gegen den Terror«, wird so antimuslimischer Rassismus zur staatstragenden Ideologie. Ganz nebenbei schleift man dabei die Freiheitsrechte immer weiter und formt den Staat noch autoritärer. Durch das Festhalten an Neoliberalismus und sozialer Ungleichheit werden jedoch keine Islamisten abgewehrt. Unübersehbar ist dabei ein postkoloniales Elitedenken als Motiv der politisch Verantwortlichen.
Die weltweiten »Black Lives Matter«-Proteste waren in Frankreich auch Anlass, der Toten rassistischer Polizeigewalt im eigenen Land zu gedenken. Dazu zählte der 24jährige schwarze Jugendliche Adama Traoré, der im Sommer 2016 in Frankreich eines der Opfer brutaler polizeilicher Willkür wurde. Seine letzten Worte waren auf französisch die gleichen wie jene von -George Floyd: »I can´t breathe!« – »Je n´arrive pas à respirer!«
Brigitte Müller ist Romanistin und Französischlehrerin. Zudem ist die Berlinerin aktiv bei den Omas gegen rechts.