Ein Buch als Lebenszeugnis
29. März 2021
Zur Erinnerung an den Spanienkämpfer Anton Haas
Am 28. April 1935 kaufte sich Anton Haas in Moskau in der Internationalen Buchhandlung ein Buch, das ein Jahr zuvor in Paris erschienen war und inzwischen international für Aufsehen gesorgt hatte. Dieses Buch trug den Titel »Dimitroff contra Göring. Enthüllungen über die wahren Brandstifter« und ging als »Braunbuch II« in die Geschichte ein. Wie sein ebenfalls 1934 herausgegebener Vorläufer, das »Braunbuch I« mit dem Titel »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror«, hatte auch das von Anton Haas gekaufte Buch eine ungewöhnlich hohe Auflage, war in verschiedenen Sprachen gedruckt worden und das gemeinsame Werk erfahrener Schriftsteller. Initiator war Willi Münzenberg, der nach der Emigration aus Deutschland in Paris die »Éditions du Carrefour« gekauft und in Basel die »Universum-Bücherei«, die vormalige Buchgemeinschaft der KPD, neu gegründet hatte. Dieses Buch informierte auch detailliert über Hunderte Opfer des Naziterrors, und die Anmerkungen in dem von Anton Haas gekauften Buch zeigen, dass er es intensiv studiert und nach Bekannten und Freunden durchsucht hatte.
So korrigierte er auch den Eintrag vom 21. April 1933 für Fritz Dressel, den Vorsitzenden der kommunistischen Fraktion im Bayrischen Landtag, der angeblich im KZ Dachau Selbstmord begangen habe, auf den 7. Mai und schrieb an den Rand: »Heute wird es drei Jahre, dass sie Dich, teurer Genosse, ermordet haben. Auch Du wirst von uns wie alle anderen gerächt werden. Moskau, 7. Mai 1936.«
Auf die Gelegenheit für die Rache musste Anton Haas, der sich in Moskau Hermann Pescher nannte, nicht lange warten. Der am 31. März 1903 in Augsburg geborene Haas war Eisenbahner, trat 1922 in den kommunistischen Jugendverband KJVD und 1927 in die KPD ein. In der KPD-Ortsgruppe Augsburg lernte er den zeitweilig dort tätigen Hans Beimler kennen, konnte aber im Gegensatz zu ihm 1934 in die Sowjetunion emigrieren. Dort wurde er an die Westuniversität der Komintern delegiert, wo auch Emma Dornberger, früher Tromm, studierte. Als in Spanien die reaktionären Generäle gegen die Republik putschten, gehörte Haas zu den ersten Freiwilligen, die sich für den Kampf gegen den Faschismus meldeten. In sein »Braunbuch« schrieb er, dass er es »am 22. Oktober der Genossin Emma Tromm im Hotel Lux auf der Gorkistraße vor meiner großen Reise nach Spanien zur Aufbewahrung« übergeben habe.
Da die Gestapo Anton Haas zur Fahndung ausgeschrieben hatte, reiste Haas mit einem gefälschten Pass auf den Namen Hermann Teichmann über die Nordroute (Stockholm–Amsterdam–Paris) nach Spanien, wo er im November 1936 ankam und unter dem Namen Teichmann in die Internationalen Brigaden aufgenommen und in der Kaderabteilung mit der Überprüfung der Angehörigen der deutschen Freiwilligen beauftragt wurde. Im Februar 1937 berief man ihn zum Kaderoffizier der XII. Internationalen Brigade. In dieser Funktion blieb er bis zu seiner schweren Verwundung, als die XIII. Brigade am 20. Juli an der Zentrumsfront am Guadarrama von den Faschisten bombardiert wurde. Alfred Kantorowicz, zur gleichen Zeit verwundet, schrieb in sein Tagebuch: »Teichmann schrie noch immer. Die durchschlagenen Sehnen traten aus seinem Kniegelenk hervor wie Stücke einer zerrissenen Baßgeigensaite.« Da die Wunde in Madrid nicht richtig behandelt werden konnte, musste man Haas im August 1938 nach Paris evakuieren. Inzwischen war er Mitglied der KP Spaniens geworden.
Emma Dornberger gesch. Tromm, die in der So-wjetunion ein Buch über Frauen im Ersten Weltkrieg veröffentlicht hatte, verlor kurz nach der Abreise von Anton Haas wegen »mangelnder Wachsamkeit« ihre Arbeit, suchte sich mit allen ihren Büchern einen neuen Wohnsitz in Sibirien und arbeitete zunächst als Deutsch-Lehrerin, dann bis zu ihrer Ausreise 1947 in die Sowjetische Besatzungszone als Rechnungsführerin in einem Bergwerk. Von 1951 bis 1953 gehörte sie der Botschaft der DDR in Rumänien an, war aber danach wieder schriftstellerisch tätig.
Anton Haas wurde 1939 in Frankreich in verschiedenen Lagern, zuletzt in Gurs, interniert. Dort konnte er fliehen und war nach der deutschen Okkupation im antifaschistischen Widerstand aktiv, wurde im Dezember 1941 von der Gestapo verhaftet, in Ingolstadt, in München und dann im KZ Dachau inhaftiert. 1945 befreit, war er wieder Funktionär und Stadtverordneter der KPD in Augsburg. Nach dem Verbot der KPD im August 1956 übersiedelte er auf Anordnung der Partei in die DDR, wo er bis zu seinem Tod am 28. März 1969 in Karl-Marx-Stadt lebte und arbeitete. In seinem »Braunbuch II« befindet sich noch folgender weiterer Eintrag: »Am 10. Mai 1966 erhielt ich nach genau 29 Jahren und 5 Monaten dieses Buch mit einer Büchersendung Emma Tromms, jetzt Berlin-Pankow, zurück.«
Emma überlebte Anton um viele Jahre. Sie verstarb 1991 in Berlin.