Das hat Struktur
3. Juli 2021
»Wir sind alle LinX« richtet sich gegen Ermittlungen nach Paragraf 129, die gegen Antifas geführt werden
antifa: Ihr habt Anfang Mai die »Leipziger Erklärung – Wir sind alle LinX« unterzeichnet. Was war der Anlass?
Lars: Am 5. November 2020 fanden in Leipzig mehrere Hausdurchsuchungen gegen AntifaschistInnen statt, die von der Generalbundesanwaltschaft angeordnet wurden. Hierbei wurde Lina verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Unabhängig davon, was ihr konkret vorgeworfen wird, muss ihre Festnahme im Zusammenhang mit den aufgedeckten rechten Strukturen bei Polizei und Militär gesehen werden. Es ist doch so: Staatliche Strukturen sind aus der extremen Rechten nicht wegzudenken. Diese politische Dimension wird größtenteils ausgeblendet. Dass FaschistInnen wieder Land gewinnen, ob auf den Straßen oder in den Parlamenten, in Deutschland und weltweit, will niemand so richtig wahrhaben. Antifaschistischer Selbstschutz ist daher wichtiger denn je gegen die Bedrohung durch Neonazis und angesichts der Verwicklungen und der Tatenlosigkeit der staatlichen Behörden. Wir als VVN-BdA Leipzig stellen uns entschieden gegen die staatliche Verfolgung des Antifaschismus, sei es durch Verbote, wie SPD-Innenminister Boris Pistorius sie in Niedersachsen prüft, sei es durch Überwachung oder Gefängnis wie im Fall Lina. Antifaschismus ist für uns gemeinnützig und lässt sich weder verbieten noch einsperren. Daher war es keine Frage, uns dem Aufruf anzuschließen, haben wir doch als Vereinigung bisweilen selbst mit Repression, Stigmatisierung und Kriminalisierung zu kämpfen.
antifa: Die Liste der Unterzeichner*innen führt neben vielen außerparlamentarischen Gruppen und Einzelpersonen aus dem antifaschistischen Spektrum auch Parteiorganisationen, Betriebe und Fußballclubs auf. Wie kam es zu dieser Breite?
Lars: Viele Initiativen gegen rechts haben zunehmend mit Repression, Stigmatisierung und Kriminalisierung zu kämpfen. Oder wie Esther Bejarano sagte: »Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen«. Selbst Fußballfans wie die der BSG Chemie Leipzig wurden zum Ziel umfangreicher staatlicher Abhörmaßnahmen. Daher war es nicht verwunderlich, dass ein breites Spektrum von Parteien wie Die Linke und DKP über zivilgesellschaftliche, antifaschistische Bündnisse wie »Leipzig nimmt Platz«, »Dresden Nazifrei«, Gewerkschaften wie die FAU und politische Gruppen wie die Interventionistische Linke den Aufruf unterstützt.
antifa: In der Erklärung wird auch der Fall der Kasslerin Lina angesprochen. Hier hat die Bundesanwaltschaft Ende Mai Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben. Was wird ihr vorgeworfen?
Lars: Den Beschuldigten wird vorgeworfen, an mehreren Angriffen auf Faschisten beteiligt gewesen zu ein. Zusätzlich wird ihnen vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 StGB gegründet zu haben, deren Ziel es war, »Angriffe gegen Personen der rechten Szene durchzuführen«. In einer Pressemitteilung bezichtigt der Generalbundesanwalt Lina der taktischen Kommandoführung innerhalb dieser Gruppe. Die Ermittlungen, die schon vor einem Jahr zu Hausdurchsuchungen in Berlin, Weimar und Leipzig geführt haben, laufen schon sehr lange. Einem Teil der Razzien liegt eine Auseinandersetzung mit vier Neonazis in Eisenach Ende 2019 zugrunde. Im Zuge der Ermittlungen hat die Polizei verschiedenste Methoden angewendet, von Observationen bis zur Überwachung von Finanz- und Telefondaten. Betroffen sind mehrere Dutzend AntifaschistInnen bundesweit. Lina ist nun seit acht Monaten in Untersuchungshaft.
antifa: Das Muster solcher Verfahren ist schon lange bekannt: Es wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, indem schwere Tatvorwürfe gegen Linke erhoben werden. Worauf müssen wir uns in Zukunft einstellen?
Lars: Der Zweck des Paragrafen 129 ist neben der öffentlichen Stigmatisierung die Möglichkeit, die Beschuldigten, aber auch ihr gesamtes Umfeld überwachen zu können. Nur ein Bruchteil dieser Ermittlungsverfahren kommt überhaupt zur Anklage, soll aber auf die Beschuldigten maximalen Druck ausüben. Dahinter steht sicher auch die Hoffnung, dass andere AktivistInnen sich distanzieren, um nicht selbst in die Fänge des Repressionsapparates zu geraten. Zusammengefasst handelt es sich um einen Strukturermittlungs- und Spaltungsparagrafen. Ferner lässt sich aus diesem wie anderen Ermittlungsverfahren eine klare Strategie der sächsischen Behörden ableiten, dass sie linke AktivistInnen möglichst umfangreich überwachen und kriminalisieren wollen. Mit »Dresden Nazifrei« sollte schon 2011 ein erfolgreiches bundesweites Bündnis, das öffentlich zu Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen den bis dahin europaweit größten jährlichen Naziaufmarsch aufgerufen hatte, mit Hilfe des Paragrafen 129 zerschlagen werden. Das Verfahren wurde irgendwann eingestellt, aber die Verunsicherung blieb. So was beobachten wir nicht nur in Sachsen. Auch das Verfahren gegen Stuttgarter Antifaschisten trägt diese Züge. Dagegen richtet sich unsere Erklärung gegen Repression.
Internetseite der Kampagne:
Zum »Fall Lina« gibt es eine Solidaritätskampagne. Dazu findet sich mehr unter: freiheitfuerlina.noblogs.org
Das Gespräch führte Nils Becker