Zeichen von Solidarität
8. September 2021
»Unentbehrlich« ist ein Plädoyer für die Unterstützung von Betroffenen
Die beiden Autorinnen Harpreet Kaur Cholia und Christin Jänicke haben mit »Unentbehrlich« einen Sammelband über die vielfältige und notwendige Solidarität von Organisationen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt vorgelegt. Der Fokus des Buches liegt zunächst auf Geschichte und Arbeit von Opferberatungsstellen, öffnet sich jedoch auch weiteren zivilgesellschaftlichen bzw. autonomen Gruppen und Aspekten hinsichtlich der Organisation von nötiger Solidarität.
Hervorhebenswert ist die Diskussion über die Prämissen, unter denen gearbeitet wird. Weil die Solidarität mit den Betroffenen an erster Stelle steht, unterscheiden sie sich notwendigerweise und zum Glück fundamental von der Arbeit staatlicher Stellen. Hier werden zwei Punkte besonders deutlich.
Erstens: Der Fokus auf die Perspektive von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Immer wieder wird in den Texten betont, dass sich bei ihnen gleichzeitig die größte Expertise und die wichtigsten Adressaten von Solidarität finden. In diesem Sinne kommt eine der Hauptforderungen des Bandes, nämlich endlich den Betroffenen zuzuhören und ihre Perspektive ernst zu nehmen, zur konkreten Anwendung: Betroffene und ihre Selbstorganisationen kommen in zahlreichen Beiträgen zu Wort. Es ist ein großes Verdienst des Buches, diesen Stimmen, die zahlreich vorhanden sind, etwas mehr Gehör zu verschaffen.
Zweitens: Der Begriff von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt unterscheidet sich grundlegend von dem der Ermittlungsbehörden. Er ist sehr viel breiter angelegt und führt so zu einem realistischeren Bild vom Ausmaß dieser Gewalt. Diese Einschätzung macht es zudem notwendig, auch staatliche Stellen und einzelne Medien, zum Beispiel der Springer-Presse, in den Fokus zu nehmen: Sie sind keine neutralen Akteur*innen, sondern Täter*innen. Die Beispiele hierfür sind fast endlos: Mord, Racial Profiling, sekundäre Viktimisierung, die Spekulation über sogenannten Dönermorde oder »Shishamorde«. Hier differenzieren die Autor*innen der Beiträge allerdings auf wohltuende Weise. Während Polizei und Ermittlungsbehörden aus offensichtlichen Gründen niemals Teil einer solidarischen Gegenöffentlichkeit sein können und als Täterstrukturen benannt und bekämpft werden müssen, handelt es sich bei der notwendigen Kritik journalistischer Arbeit nicht um plumpe Medienschelte.
Journalist*innen und Redaktionen können im Kampf gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt wertvolle Verbündete sein. Notwendig ist die hier eingeforderte Solidarität aber nicht nur von und nach außen – die Forderung richtet sich auch an die verschiedenen Strukturen, Organisationen und Aktivist*innen selbst. In den Beiträgen wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, einander zuzuhören, voneinander zu lernen und sich zu vernetzen. An diesem Punkt scheut sich der Band nicht, Schwierigkeiten und Probleme des Gemeinsamen zu benennen: Sei es die immer noch mangelhafte Wahrnehmung und Integration von Betroffenenperspektiven oder aber die teilweise ungelösten Spannungen zwischen antirassistischer und antiantisemitischer Arbeit.
Gerade letzterem ist im Sammelband einigermaßen viel Platz eingeräumt. So wird einerseits betont, dass Rassismus und Antisemitismus keine deckungsgleichen Diskriminierungsformen sind, sondern unterschiedlichen Logiken folgen. Andererseits wird deutlich, dass die Thematisierung von Antisemitismus oftmals nicht über ein Lippenbekenntnis hinausgeht. In diesem Zusammenhang ist besonders der Text von Hannah Peaceman hervorzuheben, der genau dieses Problem thematisiert, ohne in die Kerbe wohlfeiler Kritik an antirassistischer Arbeit zu schlagen, sondern produktive Lösungsvorschläge für den gemeinsamen Kampf benennt. Mit dem vorliegenden Band ist nicht nur eine Dokumentation über die vielfältige Solidarität mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt erschienen. Er ist selbst ein Akt und ein Zeichen dieser Solidarität, fordert sie ein und benennt Leerstellen. Damit wird er dem eigenen Anspruch mehr als gerecht.