Wahlkampf 2.0
6. November 2021
Die Nutzung der sozialen Medien durch Parteien
Keine Woche vergeht, ohne dass ein Tweet – ein maximal 280 Zeichen langes Statement einer Politiker*in – es bis in die »Tagesschau« schafft. Den Plattformen der sogenannten sozialen Medien wird mittlerweile große Bedeutung für die Kommunikation zwischen Politik und Bürger*innen beigemessen. Im Wahlkampf haben Facebook, Twitter, Instagram und Youtube eine weitere Aufwertung durch die Parteien erfahren. Ein gewichtiger Grund ist, dass Aussagen sehr präzise, strategisch geplant und souverän einer breiteren Zielgruppe präsentiert werden können. Denn mittlerweile nutzt mehr als die Hälfte in allen Altersgruppen soziale Medien – wenn auch jeweils unterschiedliche Plattformen –, um die eigene Meinung zu bilden. Anders als die Gespräche an den Wahlkampfständen sind die Interaktionen zudem messbar und bieten ein weites Feld für Interpretationen.
AfD statt ARD
Das Attraktive für die Parteien ist, dass die Kommunikation, ohne den Umweg über Journalist*innen und den (Fakten-)Filter von Presseorganen erfolgt. Die AfD baut seit Jahren eine Medienpräsenz im Netz auf, um sich unabhängig zu machen. Dazu gehören beispielsweise z.T. aufwändig produziert talkshowartige Filmchen, in denen Parlamentarier*innen, scheinbar neutral zu aktuellen Themen befragt werden.
Genauso wie bei der klassischen Medienarbeit geht es ihnen bei der Präsenz im Netz um die Generierung von Aufmerksamkeit. Dabei wird selbstverständlich mit Falschaussagen und Übertreibungen gearbeitet. Denn gesellschaftliche Aufmerksamkeit folgt ökonomischen Mustern. Vorrangiges Ziel der Plattformbetreiber*innen (überwiegend der Facebook-Konzern) ist es, die Leute möglichst lang auf den eigenen (mit Werbung gespickten) Seiten zu halten. Durch komplexe Berechnungen (sogenannte Algorithmen) wird versucht, diese Verweildauer der einzelnen durch immer neue Angebote zu steigern. So entsteht ein individuell passgenaues Medienangebot, das weder irritiert noch dazu einlädt, eigene Meinungen zu hinterfragen, sondern das den eigenen Standpunkt bestätigt und emotional zuspitzt.
Die Dauerbeschallung durch das Medienangebot der AfD in Verbindung mit dem Mitmachcharakter (z. B. Daumen hoch und weiterleiten) haben langfristig Auswirkung, nicht nur auf die politische Meinung, sondern auf die Wahrnehmung der Welt und politischer Zusammenhänge. Die AfD schafft sich ein eigenes »virtuelles Volk«, dem das Medienangebot »AfD statt ARD« genügt.
Durch die plattformbedingte Kürze (Twitter) und Ästhetisierung von Inhalten (Instagram) verstärkt sich das Phänomen der Aufmerksamkeitsökonomie, weil nur unterkomplexe Darstellungen technisch möglich sind. Deshalb haben es (rechts-)populistische Inhalte im Internet viel leichter als die abwägenden, diskursorientierten und oft verwirrenden Verhandlungen von Themen. Diesen grundsätzlichen Vorteil nutzend, wird zum Beispiel von der AfD zusätzlich im Graubereich zwischen berechnender Medienarbeit und der Manipulation der sozialen Medien bzw. der Algorithmen agiert. Viele Ressourcen der Partein fließen in Aufbau und Pflege von Social Media Accounts mit großer Reichweite in verschiedenen Zielgruppen (z. B. @afdwirkt). Über Jahre hinweg werden diese Kanäle mit realen AfD-Anhänger*innen, aber auch mit hunderten automatisierten Accounts (sogenannten Bots) verknüpft und durch künstliche Interaktionen eine riesige Fangemeinde simuliert. Die Partei kann damit nach Belieben ihre zum Weiterleiten und Liken erzogene Anhänger*innenschaft nutzen und regelrechte Kampagnen (»Raids«) in den sozialen Medien koordinieren, um bestimmte Stichworte und Narrative flächendeckend zur Wirkung zu bringen. Anders lässt sich nicht erklären, warum die Beiträge der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel im Wahlkampf mit Abstand die größte Reichweite hatten, obwohl sie im Vergleich zu allen anderen Spitzenkandidat*innen am wenigsten postete.
Lebensversicherung Kampagnenfähigkeit
Zur Beruhigung: Im digitalen Wahlkampf geht es vorrangig um die Mobilisierung der eigenen Anhänger*innenschaft und Verbreitung der Inhalte. Tatsächlich hat die AfD kaum noch Chancen, emotional weiter zuzuspitzen. Deshalb stagnieren die Zustimmungszahlen auf den Plattformen seit zwei Jahren. Die vergleichsweise schwachen Ergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl sind auch ein Ausdruck dessen, dass Wahlen nicht allein durch Sichtbarkeit gewonnen werden. Dennoch ist die virtuelle Kampagnenfähigkeit der AfD ihre Lebensversicherung. Und dagegen haben die anderen Parteien nicht viel aufzubieten, außer dass sie sich im Kopieren der Populismusstrategie üben. Das sogenannte Negativ-Campaining der AfD wurde ebenso übernommen wie das Polemisieren bei Sachthemen und emotionale Überzeichnen von Personalien. Antifaschist*innen sollten auch in den sozialen Medien Gegenstrategien entwickeln, ohne die berechtigte Kritik an den Plattformen abzulegen.
Literaturhinweise:
Frank Brettschneider: Bundestagswahl 2021 – Wahlkampf, Stimmungen, Meinungen. Uni Hohenheim
Johannes Hillje: Propaganda 4.0 – Wie rechte Populisten Politik machen. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2017